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Anmerkung zu:BGH 9. Zivilsenat, EUGH-Vorlage vom 16.01.2025 - IX ZR 229/23
Autor:Ansgar Hain, RA und FA für Insolvenzrecht
Erscheinungsdatum:06.05.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 39 InsO, § 339 InsO, § 30 GmbHG, § 133 InsO, § 135 InsO, 12008E267, EGV 593/2008, EGV 1346/2000, EUV 2015/848
Fundstelle:jurisPR-InsR 4/2025 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Hain, jurisPR-InsR 4/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

EuGH-Vorlage zur Auslegung der EuInsVO im Hinblick auf Gesellschafterdarlehen



Leitsätze

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG L 160 S. 1 - EuInsVO a.F.) dahin gehend auszulegen, dass sich die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigte Person gegenüber einem Rückforderungsverlangen des Insolvenzverwalters auch dann auf die Wirkungen dieser Bestimmung berufen kann, wenn das Rückforderungsverlangen dazu dient, den nach dem anwendbaren Recht des Staates der Verfahrenseröffnung geltenden Nachrang (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. i EuInsVO a.F.) durchzusetzen?
2. Sofern Frage 1 bejaht wird: Ist Art. 13 EuInsVO a.F. dahin gehend auszulegen, dass die Bestimmung auch gegenüber Anfechtungstatbeständen gilt, welche dazu dienen, die von einem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft gewährten Darlehen im Vorfeld der Insolvenz zur Sicherung der Kapitalausstattung der Gesellschaft dem haftenden Eigenkapital weitgehend gleichzustellen?
3. Sofern Frage 2 bejaht wird: Ist Art. 13 EuInsVO a.F. dahin gehend auszulegen, dass sich das auf ein von einem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft der Gesellschaft gewährte Darlehen anwendbare Recht nach dem Gesellschaftsstatut richtet?
4. Sofern Frage 3 verneint wird: Ist Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. EU L 177 S. 6 - Rom I-VO) für das nach Art. 13 Buchst. a EuInsVO a.F. zu bestimmende maßgebliche Recht anwendbar und dahin gehend auszulegen, dass Eingriffsnormen auch in vertragsrechtlichen Regelungen in nationalen Insolvenzvorschriften - wie solchen über den Nachrang von Gesellschafterdarlehen und die Rechtsfolgen des Nachrangs - enthalten sein können?



A.
Problemstellung
Im Rahmen grenzüberschreitender Anfechtungsverfahren ordnet Art. 13 EuInsVO a.F. (nunmehr Art. 16 EuInsVO) an, dass eine Anfechtung jedenfalls dann ausscheidet, wenn die Parteien für das zugrunde liegende Vertragsverhältnis die Anwendung des ausländischen Rechts vereinbart haben und die Rechtshandlung nach der ausländischen Rechtsordnung nicht anfechtbar ist.
Darf man diese Rechtslage für den „gewöhnlichen“ Anfechtungsanspruch als gesichert annehmen, so hält die wohl überwiegende insolvenzrechtliche Rechtsprechung und Literatur in Deutschland dieses Ergebnis für unangemessen, sofern es um die Anwendung bzw. Sperre des § 135 InsO geht. Hierbei wird vor allem der Gläubigerschutz bei Rechtsgeschäften mit Kapitalgesellschaften als Intention ins Feld geführt. Nunmehr hatte erstmals der BGH diese Frage zu entscheiden.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die österreichische Klägerin hatte ihrer deutschen Schwestergesellschaft, der späteren Insolvenzschuldnerin, ein Darlehen gewährt, welches diese vier Monate vor Stellung des zur Eröffnung führenden Insolvenzantrages in weiten Teilen zurückführte. Dem Vertrag hatten die Parteien österreichisches Recht zugrunde gelegt. Auf die Forderungsanmeldung hinsichtlich des Restdarlehens der Klägerin bestritt der Insolvenzverwalter diese Forderungsanmeldung unter Hinweis auf den Nachrang nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Nachdem die Klägerin Forderungsfeststellungsklage erhoben hat, machte der Insolvenzverwalter im Rahmen einer Widerklage die Anfechtungsansprüche nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO hinsichtlich der Rückführung der Darlehensbeträge geltend.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage des Beklagten die Klägerin zur Rückzahlung der im Vorfeld der Insolvenz erhaltenen Darlehenszahlungen verurteilt. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht hatte seine Entscheidung darauf gestützt, dass für das Vertragsverhältnis nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. i und m EuInsVO a.F. deutsches Recht Anwendung finde. Danach sei die Forderung als Gesellschafterdarlehen eine nachrangige Insolvenzforderung i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, die erst nach entsprechender Aufforderung zur Insolvenztabelle hätte angemeldet werden können. Gegen den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch aus Insolvenzanfechtung sprächen auch nicht die Regeln der österreichischen Rechtsordnung, die Ausnahmeregelung des Art. 13 EuInsVO a.F. sei nicht anwendbar.
Der BGH hat in Bezug auf die Widerklage den Rechtsstreit dem EuGH vorgelegt und bittet in diesem Zusammenhang um Klärung, ob die Einrede des Art. 13 EuInsVO a.F./Art. 16 EuInsVO auch für die Vorschrift des § 135 InsO gilt. Nach Auffassung des Senates ist die bisherige Rechtsprechung des EuGH, nach der im Anfechtungsrecht das nach Art. 13 EuInsVO a.F. maßgebliche Recht nach dem Recht des Vertragsstatutes zu bestimmen sei (EuGH, Urt. v. 22.04.2021 - C-73/20 Rn. 31), einer Überprüfung zu unterziehen, sofern der deutsche Insolvenzverwalter nach § 135 InsO vorgeht.
Der BGH begründet dies vor allem mit der möglicherweise bestehenden unterschiedlichen Schutzrichtung der verschiedenen Anfechtungsansprüche. Schütze die Norm des Art. 13 EuInsVO a.F./Art. 16 EuInsVO den unabhängigen Vertragspartner vor insolvenzrechtlichen Spezialregelungen eines anderen europäischen Staates, so sei dieser Schutz dann nicht notwendig, wenn es sich um Darlehensverträge zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern handle. Diese stünden sich nicht als unabhängige Vertragspartner gegenüber, sondern verfolgten gleiche Interessen. Ein ausländischer Gesellschafter könne zudem nicht darauf vertrauen, dass die Finanzierungsmaßnahmen nur nach dem Statut des Schuldvertrages beurteilt wird. Vielmehr verhalte er sich widersprüchlich, wenn er die deutsche Gesellschaft finanziere, sich aber im Falle der Insolvenz darauf berufe, dass die nach dem Vertragsstatut ausschlaggebende Rechtsordnung keinen Nachrang kenne. Die Vorschrift des § 135 InsO verwirkliche vielmehr eine Rang- und Verteilungsordnung, die das Gesetz durchsetzen will. Zudem stelle die Darlehensgewährung kein normales Verkehrsgeschäft dar. Eine vom Gesellschaftsstatut abweichende Rechtswahl könne zwar schuldrechtliche Regelungen erfassen, nicht aber die dem Schutz der Gläubiger dienende insolvenzrechtliche Regelungen über den Nachrang im Falle der Insolvenz.
Letztendlich sieht es der BGH als klärungsbedürftig an, ob, selbst wenn man das anwendbare Recht nach der lex causa bestimme, sich nicht dennoch über Art. 9 Rom I-VO die Anwendbarkeit des § 135 InsO (bzw. Nichtanwendbarkeit der Einrede) begründen lasse. Dies wäre dann möglich, wenn § 135 InsO als sog. Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Rom I-VO anzusehen wäre. Eine solche ist anzunehmen, wenn die Norm den Schutz besonders wichtiger öffentlicher Interessen bezweckt, wie etwa die politische, soziale oder wirtschaftliche Organisation des Mitgliedstaates.


C.
Kontext der Entscheidung
Vergleichbare Normen, die Gesellschafterdarlehen einem besonderen Anfechtungsregime unterstellen, finden sich in einigen Mitgliedstaaten, aber eben bei Weitem nicht in allen. Für den hiesigen Fall wäre der Widerklage des Insolvenzverwalters wohl nach österreichischem Recht der Erfolg zu versagen. Zwar kennt auch die österreichische Insolvenzordnung eine erleichterte Anfechtung der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen, allerdings war im vorliegenden Fall wohl die einjährige Anfechtungs(ausschluss)frist abgelaufen, vgl. § 43 IO.
Die bisherige nationale Rechtsprechung (mit Ausnahme des OLG Dresden, Urt. v. 14.11.2018 - 13 U 730/16, zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 339 InsO, vom BGH in der Revisionsentscheidung offengelassen, BGH, Urt. v. 12.12.2019 - IX ZR 328/18) hat den Notanker, den das OLG Naumburg (Urt. v. 06.10.2010 - 5 U 73/10) ausgeworfen hatte, gerne aufgenommen. Das Gericht hatte dort die Anwendbarkeit des ausländischen Rechts trotz entsprechender Rechtswahl der Vertragsparteien abgelehnt, da ein darlehensgebender Gesellschafter den Schutz des Art. 13 EuInsVO a.F./Art. 16 EuInsVO nicht benötige. Dass diese Rechtsprechung mit den eindeutigen Grundsätzen der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zu Art. 13 EuInsVO a.F./Art. 16 EuInsVO kollidiert, wurde dabei in Kauf genommen. Warum der unabhängige Vertragspartner schutzwürdiger sein soll, als der Gesellschafter, ist nicht ganz einzusehen. Richtig ist sicherlich, dass für den Fall eines Vertragsschlusses mit einem ausländischen Vertragspartner nicht völlig ungewöhnlich ist, dass man sich im Falle der Insolvenz ausländischen Insolvenzregimen ausgesetzt sieht. Dies ist aber eine Frage der generellen Sinnhaftigkeit des Art. 16 EuInsVO.
Die vom BGH in diesem Zusammenhang vorgeschlagene teleologische Reduktion der immerhin europarechtlichen Norm des Art. 13 EuInsVO a.F./Art. 16 EuInsVO mit Wertungen der deutschen Rechtsordnung würde zu einer national unterschiedlichen Auslegung der europarechtlichen Norm führen. Selbst wenn man dies für zulässig erachten sollte, wofür nicht wirklich viel spricht, würde es die Anwendbarkeit der Vorschrift deutlich verkomplizieren, so dass es unwahrscheinlich ist, dass der EuGH diesen Weg mitgeht.
Warum sich ein Gesellschafter widersprüchlich verhält, sofern er einerseits im Darlehensvertrag in zulässiger Weise die Rechtswahl zugunsten „seiner“ Rechtsordnung trifft und sich dann im Anfechtungsprozess mit der Einrede des Art. 13 EuInsVO a.F./Art. 16 EuInsVO verteidigt, ist ebenfalls nicht verständlich. Gerade auch ein besserer Anfechtungsschutz Im Falle der Insolvenz kann die Rechtswahl des Vertrages beeinflussen und dürfte außerhalb eines Rechtsmissbrauches jedenfalls nicht widersprüchlich sein.
Soweit der BGH dann fragt, ob die Anwendbarkeit über den Tatbestand des Art. 9 Rom I-VO möglich ist, so fragt sich, warum (nur) der Anfechtungstatbestand des § 135 InsO als Eingriffsnorm anzusehen sein soll. Der vom BGH angeführte Kapitalschutz ist seit Inkrafttreten der Regelungen zum MoMiG und Einführung der Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG aufgegeben worden bzw. war noch nie Gegenstand des § 135 InsO. Die Anfechtungsregeln dieser Vorschrift dienen vielmehr „nur“ dem Gläubigerschutz und sind daher entweder wie alle anderen Anfechtungstatbestände auch Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Rom I-VO, oder alle Anfechtungsnormen sind es eben nicht. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass auf die Eingriffsnorm nur zurückgegriffen werden darf, wenn das zu schützende Interesse nur auf diese Weise zu erreichen ist (vgl. Bork, ZRI 2025, 121 m.w.N.). Das österreichische Recht enthält aber ebenfalls entsprechende Kapitalschutzvorschriften. Nur sind eben die Rechte des Insolvenzverwalters durch Ablauf der nationalen Anfechtungsfristen erloschen.
Für die Argumentation des BGH spricht allenfalls, dass der EuGH wiederholt darauf hingewiesen hat, dass die Norm eng auszulegen ist. Ob dies aber im konkreten Fall ausreicht, um eine solche Auslegung des Art. 16 EuInsVO vorzunehmen, bleibt in Betracht der Folgen für die Rechtsanwendung unwahrscheinlich. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Europäische Gesetzgeber das Problem eben auch für die Zukunft offensichtlich nicht für „vereinheitlichungsbedürftig“ gehalten hat. So enthält die Harmonisierungsrichtlinie keine Regelungen für das Recht der Gesellschafterdarlehen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Ob mit der voraussichtlichen Entscheidung des EuGH das „Ende des deutschen Gesellschafterdarlehensrechtes“ vor der Tür steht, muss abgewartet werden. Immerhin bestehen in diversen Rechtsordnungen anderer Länder ebenfalls vergleichbare Anfechtungsvorschriften.
Richtig ist allerdings, dass mit der vermutlichen Entscheidung des EuGH zur unbeschränkten Anwendbarkeit des Art. 13 EuInsVO a.F./Art. 16 EuInsVO ein Gestaltungsspielraum eröffnet wird, der nur durch den Tatbestand des Rechtsmissbrauches eingeschränkt wird. Ob ein solcher Rechtsmissbrauch vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob der Vertrag „in künstlicher Weise dem Recht eines bestimmten Mitgliedstaates unterworfen wurde“, um den Vertrag der Geltung der lex fori concursus zu entziehen (EuGH, Urt. v. 08.06.2017 - C-54/16 „Vinyls Italia SpA in Insolvenz/Mediterranea di Navigazione SpA“).
Weiterhin sei darauf hingewiesen, dass nachträgliche Änderungen der Rechtswahl selbst einer Anfechtung nach § 133 InsO unterliegen dürften, so dass nur bei Abschluss des Darlehensvertrages eine entsprechende Rechtswahl möglich ist. Ebenso wenig ist der grundsätzliche Nachrang der Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz Gegenstand des Vorlagebeschlusses.
Die Bemühungen des BGH, der Norm des § 135 InsO auch in diesem Fall zur Anwendung zu verhelfen, sind aus Gläubigerschutzgesichtspunkten aller Ehren wert. Allerdings spricht so ziemlich alles gegen einen Erfolg.



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