Aufhebung der einstweiligen Verfügung allein wegen Versäumens der VollziehungsfristLeitsätze 1. Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angesichts dessen Eilcharakters nur ausnahmsweise in Betracht, etwa bei großer Wahrscheinlichkeit des Rechtsmittelerfolgs. 2. Die Monatsfrist der Vollziehungsfrist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO beginnt mit der Verkündung des Urteils und nicht erst mit der Zustellung einer Urteilsausfertigung. 3. Die Vollziehungsfrist aus § 929 Abs. 2 ZPO kann auch dann gewahrt sein, wenn der Verfügungskläger innerhalb der Frist eine formlose Abschrift der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb zustellt und damit von der einstweiligen Verfügung Gebrauch macht. Die bloße Aufforderung, der erstrittenen Urteilsverfügung nachzukommen, stellt keine ausreichende verbindliche Bestätigung des Vollziehungswillens dar. Orientierungssatz zur Anmerkung Versäumt der Kläger die einmonatige Vollziehungsfrist, ist eine als Urteil ergangene einstweilige Verfügung auf die Berufung des Beklagten hin (§ 511 ZPO) aufzuheben; der Beklagte kann vorab die Einstellung der Vollstreckung nach den §§ 707, 719 ZPO erwirken. - A.
Problemstellung Schon im regulären Zivilprozess reicht es nicht immer aus, einen Titel im Erkenntnisverfahren zu erwirken. Lässt der Beklagte sich davon nicht beeindrucken, muss der Kläger auch die Zwangsvollstreckung angehen. In besonderem Maße gilt diese Aussage bei Eilentscheidungen, also bei Arrest und einstweiliger Verfügung. Versäumnisse in der Vollziehung können hier den Titel sogar beseitigen und damit das gewonnene Erkenntnisverfahren wertlos werden lassen. Das Kammergericht hatte einen beispielgebenden Fall zu entscheiden.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Gegenstand des Verfahrens war die Rückgabe eines Raumes in einem Mehrfamilienhaus. Dazu verhandelte das Landgericht am 30.05.2025 mündlich und verkündete am Schluss der Sitzung ein Urteil, mit dem die beantragte einstweilige Verfügung erlassen wurde. Das Gericht verurteilte die Verfügungsbeklagte, der Verfügungsklägerin den Besitz an diesem Raum wieder einzuräumen, insbesondere die Schlüssel für das ausgetauschte Türschloss herauszugeben. Am 03.06.2025 erhielt der Rechtsanwalt der Klägerin das Sitzungsprotokoll und forderte die Beklagte am 04.06.2025 unter Hinweis auf das Urteil zur Herausgabe der Schlüssel auf. Genau einen Monat nach Urteilsverkündung erhielt er das schriftliche mit Gründen versehene Urteil zugestellt. Noch am gleichen Tag, aber erst um 19:02 Uhr übersandte er der Beklagtenvertreterin per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) eine beglaubigte Abschrift. Mit Begleitschreiben verlangte er erneut die Herausgabe der Schlüssel. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses nahm die Beklagtenvertreterin diesen Eingang am 01.07.2025 zur Kenntnis. Sie legte am Folgetag Berufung ein und beantragte zugleich, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Dem kam das Kammergericht nach und stellte die Zwangsvollstreckung nach den §§ 707, 719 ZPO gegen Sicherheitsleistung ein. Über den Gesetzeswortlaut hinaus seien diese Vorschriften auch dann anwendbar, wenn sich die Berufung gegen ein Urteil richte, durch das ein Arrest oder eine einstweilige Verfügung erlassen worden sei. Ein solches Urteil werde zwar nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt. Es sei jedoch auch ohne diesen Ausspruch vorläufig vollstreckbar, so dass sich für den Schuldner dieselbe Situation wie bei einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil ergebe (Verweis auf Götz in: MünchKomm ZPO, 7. Aufl. 2025, § 719 Rn. 4). Zwar sei bei einer einstweiligen Verfügung die Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Ausnahmefällen zulässig. Eine Einstellung bei bloßen Zweifeln gegenüber einem Verfügungsurteil würde nämlich dazu führen, nach einer nur summarischen Prüfung die einstweilige Regelung außer Kraft zu setzen. Damit würde der Zweck der einstweiligen Verfügung unterlaufen, der ihrerseits nur eine kursorische Prüfung vorausgehe. Die Einstellung komme aber in Betracht, wenn das Verfügungsurteil offensichtlich in der Berufung aufzuheben sein werde (Verweis auf OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.09.2023 - 20 U 107/23). Gerade dieser Fall sei hier aber gegeben. Die einstweilige Verfügung werde auf die Berufung hin nach den §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO aufzuheben sein. Dort sei eine Monatsfrist für die Vollziehung festgelegt. Nach Ablauf dieser Frist sei die Vollziehung unstatthaft (§ 929 Abs. 2 ZPO). In der Konsequenz sei im Rechtsmittelverfahren das erstinstanzliche Urteil aus formellen Gründen aufzuheben (OLG Hamm, Urt. v. 27.02.1986 - 4 U 324/85 - NJW-RR 1986, 1232; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.02.2010 - I-15 U 276/09 Rn. 11). Hier sei die Monatsfrist am 30.06.2025 abgelaufen. Sie habe schon mit der Verkündung des Urteils am 30.05.2025 zu laufen begonnen. Bis zum 30.06.2025 sei sie nicht vollzogen worden. Die Vollziehung durch Parteizustellung (§ 750 Abs. 1 ZPO) sei erst am 01.07.2025 erfolgt. Die Zustellung nach § 195 ZPO gelte dann als erfolgt, wenn der Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks persönlich Kenntnis erlange und es empfangsbereit entgegennehme (Verweis auf BGH, Beschl. v. 20.07.2006 - I ZB 39/05 - NJW 2007, 600, 601 – dort noch: Unterzeichnung des schriftlichen Empfangsbekenntnisses). Das sei hier am 01.07.2025 geschehen, ohne dass der Beklagtenvertreterin eine Zustellungsvereitelung zur Last zu legen sei – um 19:02 Uhr am Vortag seien die üblichen Geschäftszeiten bereits abgelaufen gewesen. Es könne dahinstehen, ob es für eine „Vollziehung“ auch ausreiche, wenn der Gläubiger die Entscheidung im Parteibetrieb formlos mitteile und seinen Willen, von dem erstrittenen Titel Gebrauch zu machen, gegenüber dem Schuldner verbindlich zum Ausdruck bringe (insoweit: Verweis auf Vollkommer in: Zöller, ZPO, 36. Aufl. 2025, § 929 Rn. 12). Auch das sei hier nicht geschehen. Ein Aufforderungsschreiben mit Hinweis auf den Titel reiche jedenfalls nicht aus. Der Gläubiger müsse vielmehr seine Absicht deutlich machen, den Titel ggf. auch zu gebrauchen, um die Forderung durchzusetzen.
- C.
Kontext der Entscheidung Der Beschluss entspricht der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum. Zwar lässt die Versäumung der Vollziehungsfrist die Wirksamkeit des Urteils als gerichtliche Entscheidung unberührt (BGH, Beschl. v. 12.10.2023 - IX ZB 60/21 Rn. 34 - ZIP 2024, 1287, 1291; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 36. Aufl. 2025, § 929 Rn. 22; Drescher in: MünchKomm ZPO, 7. Aufl. 2025, § 929 Rn. 17). Die Entscheidung ist aber auf Widerspruch (§ 924 ZPO), Berufung (§ 511 ZPO) oder ggf. im Verfahren nach § 927 ZPO wegen veränderter Umstände aufzuheben (Drescher in: MünchKomm ZPO, 7. Aufl. 2025, § 929 Rn. 18). Die Versäumung der Vollziehungsfrist lässt den Arrest- oder Verfügungsgrund entfallen (vgl. nur BGH, Beschl. v. 12.10.2023 - IX ZB 60/21 Rn. 34 - ZIP 2024, 1287, 1291; KG, Beschl. v. 21.12.20200 - 5 U 1039/20 Rn. 15 - GRUR-RR 2022, 42748 und juris dort: Rn. 17). Hier hatte die Verfügungsbeklagte den Weg der Berufung gewählt. Ebenso ist außer Streit, dass die Vollziehung nach § 929 ZPO nicht schon dadurch geschieht, dass der Gläubiger (erneut) Erfüllung der titulierten Pflicht verlangt. Vielmehr muss er seinen Vollziehungswillen betätigen (Elzer/Mayer in: BeckOK ZPO, 58. Ed. Stand 01.09.2025, § 929 Rn. 41; Braun in: Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl. 2025, § 929 Rn. 6; LArbG Schleswig-Holstein, Urt. v. 20.08.2024 - 4 SaGa 2/24 Rn. 179). Es ist umstritten, ob zur Vollziehung bei einer Urteilsverfügung in jedem Fall die Parteizustellung erfolgen muss (so etwa OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.07.2013 - 6 U 120/13; OLG München, Urt. v. 23.06.2010 - 20 U 2462/10; OLG Dresden, Urt. v. 07.02.2017 - 4 U 1422/16 - MDR 2017, 421) oder das angesichts der ohnehin erfolgenden Amtszustellung entbehrlich ist (so etwa LG Bayreuth, Urt. v. 23.04.2018 - 13 HK O 43/17; Musielak/Hüntemann in: MünchKomm ZPO, 7. Aufl. 2025, § 317 Rn. 3; weitere Nachweise zum Meinungsstand bei Korinth in: Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, F30). In jedem Fall aber muss der Gläubiger deutlich machen, das Urteil notfalls zur zwangsweisen Durchsetzung einzusetzen. Ein formloses Aufforderungsschreiben reicht dafür – jedenfalls nach der bisherigen Rechtsprechung – nicht aus (OLG Dresden, Urt. v. 07.02.2017 - 4 U 1422/16 - MDR 2017, 421; dazu Fischer, MDR 2017, 631; ebenso Praun in: Glöckner/Manteufel/Rehbein, PrivBauR-HdB, 7. Aufl. 2025, § 21 Rn. 123). Für den obsiegenden Verfügungskläger gilt das selbst dann, wenn zunächst nur das Sitzungsprotokoll existiert, er also das mit Gründen versehene Urteil noch gar nicht in der Hand hat. Mit der Verkündung wird das Urteil existent (vgl. nur BGH, Urt. v. 11.02.2022 - V ZR 15/21 Rn. 7 ff. - NJW 2022, 1816; Musielak/Hüntermann in: MünchKomm ZPO, 7. Aufl. 2025, § 318 Rn. 1). Die Vollziehungsfrist beginnt ihrerseits nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 929 Abs. 2 Satz 1 BGB mit dem Tag, an dem die Entscheidung „verkündet … ist“. Dafür reicht die Urteilsformel (§ 317 Abs. 2 ZPO). Das Urteil ist im Regelfall innerhalb von drei Wochen schriftlich mit Gründen abzufassen und der Geschäftsstelle zu übermitteln (§ 315 Abs. 2 ZPO). Es kann aber auch länger dauern, ohne dass das an der Existenz des Urteils etwas ändern würde (vgl. § 315 Abs. 2 Sätze 2 und 3 ZPO). Der Verfügungskläger muss also das Sitzungsprotokoll mit dem (ggf. angehefteten) Urteilstenor zustellen (vgl. OLG München, Urt. v. 31.07.1992 - 23 U 3891/92).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Das schulmäßig begründete Urteil zeigt beispielhaft auf, welche Punkte der Rechtsanwalt noch zu beachten hat, wenn er im Erkenntnisverfahren obsiegt hat. Wird ein Verfügungsurteil am Schluss der Sitzung verkündet, kann die Vollziehung ein steiniger Weg sein und die Frist dafür beginnt am gleichen Tag. Es hilft wenig, sich über den langen Zeitraum bis zur Zustellung des begründeten Verfügungsurteils zu beklagen. Der klägerische Anwalt kann eben nicht wissen, wann er das mit Gründen versehene Urteil erhalten wird. Daher sollte er das Protokoll – unter Beachtung der Vorgaben der §§ 169, 195 ZPO – zustellen (vgl. zur Zustellung der einstweiligen Verfügung über das beA ausführlich Günther, GRUR-Prax 2024, 621).
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