Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist eine im Jahr 2014 gegründete und inzwischen aufgelöste GmbH, deren Alleingesellschafter R war. R wechselte von einem anderen Unternehmen zur Klägerin als neuem Arbeitgeber. Mit Vertrag vom 19.12.2014 und Wirkung zum 31.12.2014 übernahm die Klägerin die Versorgungszusage, die R bei dem anderen Unternehmen erteilt worden war. Im Gegenzug wurden der Klägerin entsprechende Vermögenswerte – Lebensversicherung, Forderungen gegenüber R – in Gesamthöhe von 512.052 Euro übertragen. Es entstand ein Übertragungsgewinn i.H.v. 77.881 Euro, für den die Klägerin eine Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG bildete. Die Klägerin löste diese Rücklage im Streitjahr 2014 und in den Folgejahren zu je einem Fünfzehntel auf.
Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte die Auffassung, dass eine Rücklagenbildung für den Gewinn aus der übernommenen Pensionsverpflichtung unzulässig sei und erließ u.a. auch für das Streitjahr 2014 entsprechende Änderungsbescheide wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer. Das FG Nürnberg gab der Klage mit Urteil vom 10.08.2021 (1 K 528/20 - EFG 2022, 390 mit Anm. Büchter-Hole) statt. Der XI. Senat des BFH bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Revision des Beklagten als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der BFH im Wesentlichen zusammengefasst aus:
I. Das FG habe im Ergebnis zu Recht dahin erkannt, dass die Klägerin für den Gewinn aus der übernommenen Pensionsverpflichtung eine steuermindernde Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG bilden könne.
Bei einer Pensionszusage handle es sich um eine übernommene Verpflichtung, die beim ursprünglich Verpflichteten Ansatzbeschränkungen bzw. Bewertungsvorbehalten (vgl. § 6a EStG) unterlegen habe. Es liege ein Fall des § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG vor. Als Rechtsfolge ergebe sich daraus an sich, dass die Klägerin die Verpflichtung so zu bilanzieren habe, wie sie beim ursprünglich Verpflichteten ohne Übernahme zu bilanzieren wäre. Außerdem dürfe die Klägerin nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG, der auf § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG Bezug nehme, eine gewinnmindernde Rücklage bilden.
II. Anders als der Beklagte und das BMF geltend machten, spreche der Wortlaut des Gesetzes nicht gegen, sondern für die Rücklagenbildung. Einer – rechtsfortbildenden – teleologischen Extension bedürfe es nicht. Diese Auslegung erscheine auch gleichheitsrechtlich geboten.
III. Anhaltspunkte, dafür, § 5 Abs. 7 Sätze 1 und 5 EStG entgegen dem Wortlaut einschränkend auszulegen und die Rücklagenbildung damit zu verwehren, vermöge der Senat auch unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks und der Gesetzessystematik nicht zu erkennen.
Kontext der Entscheidung
I. Bei einem Arbeitgeberwechsel können betriebliche Versorgungszusagen/Versorgungsansprüche (Pensionsverpflichtungen) vom ehemaligen auf den neuen Arbeitgeber übertragen werden (vgl. § 4 BetrAVG). In einem solchen Fall leistet der ehemalige Arbeitgeber für die Befreiung von der Pensionsverpflichtung i.d.R. ein marktgerechtes Entgelt (Übertragungswert) an den neuen Arbeitgeber, das regelmäßig höher ist als die beim bisherigen Arbeitgeber gebildete Rückstellung. Soweit der Übertragungswert die erfolgswirksam aufzulösende Rückstellung übersteigt, entsteht beim ehemaligen Arbeitgeber ein Aufwandsüberhang, der ertragsteuerlich nach § 4f EStG zu behandeln ist. Gemäß § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 Alt. 1 EStG muss der alte Arbeitgeber den Aufwandsüberhang nicht nach § 4f Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG auf das Wirtschaftsjahr der Schuldübernahme und den nachfolgenden 14 Jahren gleichmäßig verteilen, sondern kann ihn unmittelbar in voller Höhe als sofortigen Betriebsausgabenabzug geltend machen. Demgegenüber ist die steuerbilanzielle Bewertung von Pensionsverpflichtungen, die im Zuge eines Arbeitgeberwechsels gegen Erhalt von Vermögenswerten übernommen werden sind, in § 5 Abs. 7 EStG geregelt. Beim neuen Arbeitgeber erfolgt die Bewertung der übernommenen Pensionsverpflichtung nach § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG. Übersteigen die übernommenen Vermögenswerte den bis zum Ende des Wirtschaftsjahres der Übernahme fortentwickelten steuerlichen Anwartschaftsbarwert der übernommenen Pensionsverpflichtung, so entsteht wie im vorliegenden Streitfall ein Übernahmegewinn (vgl. Büchter-Hole, EFG 2022, 391).
II. Im Einzelnen gelten folgende Regelungen: Nach § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG sind übernommene Verpflichtungen, die beim ursprünglich Verpflichteten Ansatzverboten, -beschränkungen oder Bewertungsvorbehalten unterlegen haben, zu den auf die Übernahme folgenden Abschlussstichtagen bei dem Übernehmer und dessen Rechtsnachfolger so zu bilanzieren, wie sie beim ursprünglich Verpflichteten ohne Übernahme zu bilanzieren wären. Dies gilt nach § 5 Abs. 7 Satz 2 EStG in Fällen des Schuldbeitritts oder der Erfüllungsübernahme mit vollständiger oder teilweiser Schuldfreistellung für die sich aus diesem Rechtsgeschäft ergebenden Verpflichtungen sinngemäß. § 5 Abs. 7 Satz 3 EStG ordnet an, dass Satz 1 für den Erwerb eines Mitunternehmeranteils entsprechend anzuwenden ist. Wird eine Pensionsverpflichtung unter gleichzeitiger Übernahme von Vermögenswerten gegenüber einem Arbeitnehmer übernommen, der bisher in einem anderen Unternehmen tätig war, ist nach § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG Satz 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass bei der Ermittlung des Teilwertes der Verpflichtung der Jahresbetrag nach § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 EStG so zu bemessen ist, dass zu Beginn des Wirtschaftsjahres der Übernahme der Barwert der Jahresbeträge zusammen mit den übernommenen Vermögenswerten gleich dem Barwert der künftigen Pensionsleistungen ist; dabei darf sich kein negativer Jahresbetrag ergeben. Nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG kann für einen Gewinn, der sich aus der Anwendung der Sätze 1 bis 3 ergibt, jeweils i.H.v. vierzehn Fünfzehntel eine gewinnmindernde Rücklage gebildet werden, die in den folgenden 14 Wirtschaftsjahren jeweils mit mindestens einem Vierzehntel gewinnerhöhend aufzulösen ist (Auflösungszeitraum).
III. Die Vorschrift des § 5 Abs. 7 EStG wurde gemeinsam mit § 4f EStG durch das AIFM-StAnpG v. 18.12.2013 (BGBl I 2013, 4318) in das EStG eingefügt. Mit den Regelungen sollte ausweislich der Gesetzesmaterialien verhindert werden, dass Gestaltungsräume in missbräuchlicher Form genutzt werden, welche sich aus der Entwicklung der Rechtsprechung des BFH ergeben hätten (vgl.
BR-Drs. 740/13, S. 115). Mit § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG verfolgte der Gesetzgeber ersichtlich aber auch den Zweck, die Portabilität von Versorgungszusagen nicht zu erschweren (vgl. Schindler in: Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 4f Rn. 17; Schießl in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4f Rn. B 18; Briese, DStR 2019, 943), sie mit anderen Worten zu begünstigen.
IV. Ob eine Rücklage nach § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG auch für einen Gewinn offensteht, der aus einer übernommenen Pensionszusage resultiert, ist umstritten.
1. Eine Auffassung stellt im Wesentlichen darauf ab, dass § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG kein eigener Tatbestand sei, sondern nur die Berechnung des Gewinns besonders regle, die sich grundsätzlich nach § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG richte. Insoweit liege auch ein Fall des § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG vor; der Gewinn aus einer entsprechenden Übernahme sei daher von der Bezugnahme des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG auf Satz 1 erfasst (vgl. hierzu: Brandis/Heuermann/Krumm, § 5 EStG Rn. 256; Reddig in: Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl., § 5 Rn. 235a; Meyer in: BeckOK EStG, 20. Ed. 01.11.2024, § 5 EStG Rn. 2940.1; Briese, DStR 2019, 943 f.; Lieb, BB 2022, 306).
2. Nach anderer Ansicht ist eine Rücklagenbildung bei Pensionsübernahme hingegen nicht zulässig. Einer solchen stehe schon der Wortlaut des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG entgegen. So beschränke § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG die Möglichkeit der Rücklagenbildung ausdrücklich auf die Fälle des § 5 Abs. 7 Sätze 1 bis 3 EStG. Die Übertragung einer Pensionsverpflichtung werde in § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG behandelt und sei deshalb nicht erfasst (vgl. Tiedchen in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rn. 2462; Schiffers/Strahl/Fuhrmann/Veit in: Korn, § 5 EStG Rn. 660; Veit/Hainz, BB 2014, 1323, 1326; Huth/Wittenstein, DStR 2015, 1088, 1090; Selig-Kraft, BB 2017, 919, 923; Kahle/Braun, FR 2018, 197, 204; Schulenburg/Lüder, FR 2019, 213).
V. Der XI. Senat des BFH hat sich in der vorliegenden Entscheidung der erstgenannten Auffassung angeschlossen und dies insbesondere mit dem Wortlaut der Norm wie folgt begründet.
1. Im Verhältnis zu § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG sei die Vorschrift des § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG zwar im Hinblick auf die Bewertung lex specialis. Sie regle eine abweichende Rechtsfolge und erschöpfe sich darin. Anders als § 5 Abs. 7 Sätze 2 und 3 EStG enthalte sie gerade keinen eigenen Tatbestand, ohne den § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG nicht anwendbar wäre. So beträfen die Sätze 2 und 3 andere Fallgruppen als die Übertragung, nämlich den Schuldbeitritt und die Erfüllungsübernahme (Satz 2) sowie den Erwerb von Mitunternehmeranteilen (Satz 3). § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG hingegen begründe keine neue vierte Fallgruppe, sondern ordne für einen Teil der Übertragungsfälle des Satzes 1 eine besondere Bewertung an. Er betreffe Übertragungen i.S.d. § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG. Daraus erkläre sich die Bezugnahme des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG lediglich auf die Sätze 1 bis 3.
2. Vor diesem Hintergrund bedarf es aus Sicht des XI. Senats des BFH keiner – rechtsfortbildenden – teleologischen Extension. Vielmehr sei die befürwortete Auslegung auch gleichheitsrechtlich geboten. So sei es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten, die Rücklagenbildung nicht nur bei andersartigen Verpflichtungen, sondern ebenso bei Pensionszusagen zuzulassen, die anderenfalls sinnwidrig benachteiligt würden. Dies gelte im Steuerrecht, das intensives Eingriffsrecht sei, umso mehr deshalb, weil durch das Verwehren der Rücklage bei Pensionsverpflichtungen erheblich in die Rechte der Steuerpflichtigen eingegriffen würde.
3. Darüber hinaus sieht der XI. Senat des BFH sich in seiner Auffassung durch den Gesetzeszweck bestätigt, der keine Anhaltspunkte dafür biete, Abs. 7 Sätze 1 und 5 EStG entgegen dem Wortlaut einschränkend auszulegen. Aus Sicht des erkennenden Senats wäre es zweckwidrig, ein begünstigtes bzw. erwünschtes Verhalten (die Übernahme von Pensionsverpflichtungen, § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG) zumindest in einem Teil der Fälle schlechter zu behandeln als nicht begünstigtes bzw. weniger erwünschtes Verhalten (Übernahme anderer Verpflichtungen, § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG). Dies wäre bei einer einschränkenden Auslegung des § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG jedoch der Fall; denn die Übertragung einer Pensionsverpflichtung könnte dann mangels Möglichkeit zur Rücklagenbildung ungünstiger als die Übertragung einer andersartigen Verpflichtung sein und dabei zu systemwidrigen Unterschieden führen.
4. Schließlich folgt nach Ansicht des XI. Senats des BFH auch aus der Gesetzessystematik nichts anderes. Da § 5 Abs. 7 Satz 4 EStG nach den Gesetzesmaterialien klarstellend eine frühere Verwaltungsanweisung habe ins Gesetz übernehmen sollen (vgl.
BR-Drs. 740/13, S. 117;
BT-Drs. 18/68, S. 73), fehle es bereits an einer Korrespondenz zwischen § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG und § 5 Abs. 7 Satz 5 EStG. Gegen ein Korrespondenzprinzip dergestalt, dass ein steuerlicher Vorgang bei dem einen zum (sofortigen) Abzug berechtigt und bei dem anderen zur (sofortigen) Besteuerung verpflichtet, fehle es auch im Übrigen an hinreichenden Anhaltspunkten. Ein solches Prinzip ordne der Gesetzgeber regelmäßig durch ausdrückliche Bezugnahme im Gesetz an (vgl. etwa – in der heutigen Fassung – § 22 Nr. 1a EStG, der auf § 10 Abs. 1a EStG verweist). Daran fehle es hier, anders als noch in einem Vorschlag des Bundesrats in einem früheren Gesetzgebungsverfahren (
BT-Drs. 17/13877, S. 4 f. und 7), bei dem unter anderem Satz 1 nicht anzuwenden sein sollte, soweit die Vorschrift des § 4f EStG anzuwenden ist.