juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Brandenburg 11. Zivilsenat, Urteil vom 23.08.2024 - 11 U 222/23
Autor:André Naumann, RA
Erscheinungsdatum:24.10.2025
Quelle:juris Logo
Norm:§ 186 VVG
Fundstelle:jurisPR-VersR 10/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Naumann, jurisPR-VersR 10/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anforderungen an die ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität



Orientierungssätze

1. Eine ärztliche Bescheinigung, die den Dauerschaden als „noch nicht geklärt“ bezeichnet, ist nicht ausreichend als ärztliche Feststellung einer unfallbedingten Invalidität.
2. Eine nach Ablauf der Feststellungsfrist erfolgte Erläuterung des unzureichenden Attests heilt den Mangel nicht.



A.
Problemstellung
Ein Anspruch auf eine Invaliditätsleistung ist in der privaten Unfallversicherung an die Einhaltung bestimmter Invaliditätsfristen geknüpft. So muss eine unfallbedingte Invalidität binnen konkreter Fristen eingetreten sein (Eintrittsfrist), schriftlich ärztlich festgestellt (Feststellungsfrist) und beim Versicherer geltend gemacht (Geltendmachungsfrist) werden. Auf Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen muss der Versicherer den Versicherungsnehmer in Textform hinweisen gemäß § 186 Satz 1 VVG. Fehlt die Belehrung, kann er sich auf eine Fristversäumnis nicht berufen, § 186 Satz 2 VVG.
Ob eine inhaltlich ausreichende schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung vorliegt, ist häufig zwischen den Parteien umstritten. Welche inhaltlichen Anforderungen an eine derartige schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung zu stellen sind, ist Schwerpunkt der Entscheidung des OLG Bamberg.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger wandte sich gegen ein klageabweisendes Urteil des LG Coburg, das nicht veröffentlicht ist. Da das OLG Bamberg teilweise zum Sachstand und dem Vorbringen der Parteien auf den unbekannten Tatbestand des angegriffenen Urteils ausdrücklich Bezug nimmt, ist der Sachverhalt nicht vollständig bekannt, insbesondere die strittigen medizinischen Ausführungen.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Unfallversicherung. Welches Bedingungswerk am Schadentag galt, ist streitig, aber nicht entscheidungsrelevant. Der Kläger stürzte am 29.07.2021 von einer Leiter und erlitt Frakturen im Becken- und Wirbelsäulenbereich Er verlangt von der Beklagten eine Invaliditätszahlung auf Basis einer unfallbedingten Invalidität von 20%.
Die vertraglich vereinbarte Invaliditätseintrittsfrist für den Eintritt einer unfallbedingten Invalidität beträgt 18 Monate und endete am 29.01.2023. Die ärztliche Feststellungsfrist und Geltendmachungsfrist beträgt nach den Vereinbarungen längstens 21 Monate und endete am 29.04.2023. Hierüber wurde der Kläger zweimal durch Schreiben der Beklagten belehrt und mit Übersendung des Formulars zur Geltendmachung der Invalidität auf den Fristablauf am 29.04.2023 hingewiesen.
Die Beklagte hat das Eintreten der vom Kläger behaupteten unfallbedingten Dauerfolgen innerhalb der Invaliditätseintrittsfrist bestritten, da das vom Kläger vorgelegte Attest vom 24.04.2023 nicht die formellen Voraussetzungen für die vertraglich vereinbarte Invaliditätsleistung erfülle, da eine Invalidität innerhalb von 21 Monaten gerade nicht von einem Arzt schriftlich festgestellt worden sei.
Das Landgericht hat die Klage vollumfänglich mit der Begründung abgewiesen, dass die spätestens am 29.04.2023 endende Feststellungsfrist für den Eintritt der unfallbedingten Invalidität vom Kläger nicht eingehalten worden sei. Das einzige vom Kläger vorgelegte Attest vom 24.04.2023 erfülle nicht die Voraussetzungen der schriftlichen Bestätigung der Invalidität.
Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung wird damit begründet, dass das Schreiben des Hausarztes vom 24.04.2023 eine Invalidität bestätige und ferner der Hausarzt das Vorliegen von Dauerschäden mit Schreiben vom 23.10.2023 nochmals bekräftigt habe. Außerdem habe der Kläger wegen der Corona-Pandemie nur schwierig Termine beim Facharzt bekommen können. Rechtlich sei eine unumstößliche Aussage zu einer eingetretenen Invalidität auch gar nicht erforderlich. Es reiche aus, dass voraussichtlich ein unfallbedingter Dauerschaden verbleiben wird.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung mit dem Argument, dass die formellen Voraussetzungen der Leistungspflicht nicht vorliegen, weil das vorgelegte Attest den inhaltlichen Anforderungen einer Invaliditätsfeststellung nicht genüge. Eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung sei positiv nicht festgestellt worden. Die Frage, ob durch das Unfallereignis eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit verbleiben wird, wird mit „noch nicht geklärt“ beantwortet. Das weitere Schreiben des Hausarztes vom 23.10.2023 sei nicht zu berücksichtigen.
Das OLG Bamberg sah für die Berufung keine Aussicht auf Erfolg, da das Urteil des LG Coburg zutreffend sei. Ergänzend führt es noch aus, dass die Regelung zur Feststellung eines Dauerschadens innerhalb einer (15- bzw.) 21-monatigen Eintrittsfrist der AGB-Kontrolle standhält (keine unangemessene Benachteiligung, vgl. BGH, Urt. v. 24.03.1982 - IVa ZR 226/80).
Die Feststellungsfrist wurde nicht vertragsgemäß eingehalten. Unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügte das vorgelegte Attest vom 24.03.2023 den Anforderungen nicht. Es enthält keine positive Feststellung im Hinblick auf eine dauerhafte körperliche und/oder geistige Beeinträchtigung. Der behandelnde Hausarzt beantwortete diese Frage eben nicht mit den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten „Ja“ oder „Nein“, sondern fügte handschriftlich „noch nicht geklärt“ ein. Aus der Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts stand ein Dauerschaden zum entsprechenden Zeitpunkt nicht fest, und es konnte auch keine Prognose gestellt werden.
Entgegen der klägerischen Ansicht war das Schreiben des Hausarztes vom 23.10.2023 nicht zu berücksichtigen, da die Feststellungsfrist bereits abgelaufen war. Die dortigen Ausführungen können in Anbetracht des zeitlichen Ablaufs auch nicht in einem Gesamtzusammenhang gesehen werden.
Der weitere Berufungseinwand, dass die Behandlung des Klägers in die Corona-Pandemie-Zeit fiel und es für ihn nur schwer möglich war, Facharzttermine zu vereinbaren, greift nicht. Der Kläger war regelmäßig in fachärztlicher Behandlung, wie die vorgelegten orthopädischen, chirurgischen und neurologischen Atteste und Befundberichte belegen. Auch reicht grundsätzlich für die Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens ein Attest des behandelnden Hausarztes.


C.
Kontext der Entscheidung
Das OLG Bamberg bestätigt die höchstrichterliche Rechtsprechung zum erforderlichen Inhalt einer ausreichenden ärztlichen Invaliditätsfeststellung (z.B. BGH, Urt. v. 07.03.2007 - IV ZR 137/06). Aus ihr müssen sich die ärztlicherseits dafür angenommene Ursache, die Art ihrer Auswirkungen und die Dauerhaftigkeit ergeben.
Die ärztliche Feststellung der Invalidität muss schriftlich erfolgen und eine Invalidität positiv feststellen, braucht aber nicht richtig zu sein (BGH, Urt. v. 16.12.1987 - IVa ZR 195/86). Dies gilt aber nur dergestalt, dass eine vom Behandler positiv festgestellte Invalidität sich im Rahmen der anschließenden Begutachtung als nicht existent oder unfallfremd erweist (van Bühren/Naumann, HdB-VersR, § 16 Rn. 194). Dies folgt aus der Vorgabe, dass der Arzt eine verbindliche Aussage treffen muss, so dass es nicht ausreichend ist, wenn das Vorliegen eines Dauerschadens als nur „möglicherweise“, „eventuell“, „zurzeit“ oder „erst nach einer Begutachtung zu klären“ bescheinigt wird (vgl. z.B. OLG Zweibrücken, Urt. v. 14.04.2005 - 1 U 5/05; OLG Celle, Urt. v. 12.03.2009 - 8 U 200/08). Ebenso unzureichend sind: „Ein Dauerschaden kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden“ (LG Bremen, Urt. v. 18.04.2000 - 3 U 98/99); ein Dauerschaden ist „noch nicht abschätzbar“ bzw. „abzuschätzen“ (LG Bremen, Urt. v. 24.10.1985 - 4 O 474/85), „nicht absehbar“ bzw. „vorhersehbar“ (OLG Köln, Urt. v. 17.10.1991 - 5 U 31/91; LG Hanau, Urt. v. 23.05.1984 - 4 O 1555/83) oder „Dauerfolgen können derzeit nicht beurteilt werden“ (OLG Frankfurt, Urt. v. 23.06.1995 - 10 U 247/93; weitere Beispiele bei Bruck/Möller-Leverenz, Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 99 ff.)
Das OLG Bamberg fügt der Reihe der unzureichenden Aussagen nun eine Entscheidung zu „noch nicht geklärt“ hinzu. Diese Formulierung reicht nicht aus für die positive Feststellung einer unfallbedingten Invalidität. Da es sich bei der Feststellungsfrist um eine objektive Anspruchsvoraussetzung handelt, kann eine Versäumnis auch nicht geheilt werden. Dies stellt das OLG richtigerweise auch fest. Eine nach Ablauf der Frist erfolgte Ergänzung zum fristgerecht erstellten Attest beseitigt dessen Mängel nicht.
Nur am Rand stellt das OLG klar, dass in diesem konkreten Einzelfall die Auswirkungen der Corona-Pandemie keinen erkennbaren Einfluss auf die Möglichkeit zur ärztlichen Feststellung gehabt haben, da der Kläger regelmäßig und wiederholt (Fach-)Ärzte aufgesucht hat.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung bestätigt erneut die inhaltlichen Anforderungen an eine ausreichende schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung. Mit der weiteren durch ein OLG als unzureichend bestätigten Formulierung „noch nicht geklärt“ wird es möglicherweise in der Praxis für die Versicherer in der Begründung leichter, dem Versicherungsnehmer ein unzureichendes Attest als solches auch zu erläutern.
Wichtig ist auch der Umstand, dass eine nach Fristablauf erfolgte Erläuterung des unzureichenden Attests nicht ausreicht für eine fristgerechte ärztliche Feststellung. Dieser Umstand ist in der außergerichtlichen Praxis häufig umstritten.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!