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Anmerkung zu:LG Berlin 52. Zivilkammer, Urteil vom 09.03.2023 - 52 O 103/22
Autor:Dr. Christoph Sorge, Wissenschaftlicher Assistent
Erscheinungsdatum:21.11.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 320 BGB, § 780 BGB, § 781 BGB, § 675t BGB, § 31 ZKG, § 1 EinSiG, § 305 BGB, § 4 UKlaG, § 669 BGB, § 134 BGB, § 138 BGB, § 242 BGB, § 312a BGB, § 1 ZAG, § 675c BGB, § 312 BGB, § 675f BGB, § 305c BGB, § 689 BGB, § 241 BGB, § 362 BGB, § 700 BGB, § 488 BGB, § 3 ZAG, § 261 ZPO, § 307 BGB, § 306 BGB, EWGRL 13/93
Fundstelle:jurisPR-BKR 11/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Stephan Meder, Universität Hannover
Dr. Anna-Maria Beesch, RA'in und FA'in für Bank- und Kapitalmarktrecht
Zitiervorschlag:Sorge, jurisPR-BKR 11/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Das Verwahrentgelt als „Etwas gegen Nichts“?, bzw.: Das Verwahrentgelt als versteckte Risikobeteiligung?



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die formularmäßige Klausel eines Verwahrentgelts bei Giro- und Tagesgeldkonten unterliegt als Preisnebenabrede ohne echte Gegenleistung der Inhaltskontrolle und bildet eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB, da sie von den wesentlichen Grundgedanken der §§ 675f Abs. 5 Satz 1, 700 Abs. 1, 488 Abs. 1 Satz 2 BGB abweicht und mit dem Leitbild der gesetzlichen Entgeltbestimmungen unvereinbar ist.
2. Eine Verzichtsklausel, wonach Kunden auf „sämtliche Erstattungsansprüche“ aufgrund vergangener Vertragsänderungen wegen einer BGH-Entscheidung (BGH, Urt. v. 27.04.2021 - XI ZR 26/20) verzichten sollen, verstößt gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 BGB und ist als unangemessene Benachteiligung unwirksam.



A.
Problemstellung
Können Banken einen Preis dafür verlangen, dass sie die Einlagen der Kunden sicher verwahren und das verwahrte Buchgeld jederzeit zur Ausführung von Zahlungsdiensten bereithalten? Eine Antwort auf diese scheinbar simple, auch der Besprechungsentscheidung zugrunde liegenden Fragestellung gab bereits der Zivilrechtslehrer Siegmund Schlossmann (1844-1909): „‚Keine Leistung ohne Gegenleistung‘ ist das Losungswort im Güterleben.“ (Schlossmann, Zur Lehre von der Causa obligatorischer Verträge, 1868, S. 45). Das im Bankgewerbe herrschende und im BGB verankerte Prinzip der Entgeltlichkeit bestätigt dabei Schlossmanns Losungswort, selbst wenn im Zahlungsdiensterecht die causa acquirendi nicht uneingeschränkt Geltung genießen darf. So steht die Vergütung von Nebenpflichten unter Vereinbarungsvorbehalt und hat in Abhängigkeit der Leistungserbringung kostenorientiert zu erfolgen (vgl. § 675f Abs. 5 Satz 2 letzter Halbsatz BGB). Für Hauptleistungen hingegen bildet empirisch wie gesetzestypisch der Austauschzweck die Regel, eine causa donandi die Ausnahme – erst recht im margenschwachen Passivgeschäft mit Privatkunden (Casper in: MünchKomm BGB, § 675f Rn. 59; abw. Omlor in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2020, § 675f Rn. 161; a.A. Foerster in: BeckOGK BGB, Stand: 01.06.2023, § 675f Rn. 94: „Grundsatz der Unentgeltlichkeit“).
I. Entgelt für eine Erfüllungsleistung oder Bepreisung einer Bankleistung pro domo?
Doch wie ist ein von Kunden zu entrichtendes Entgelt einzuordnen, wenn sich die dafür angebotene Geldverwahrung nicht als eine eigenständige Leistung nach § 241 Abs. 1 BGB darstellt, sondern nur die Kehrseite bzw. die Voraussetzung bildet, um das häufig schon bepreiste oder durch Refinanzierung gedeckte Leistungsprogramm erfüllen zu können? Mit anderen Worten: Steht das Verwahrentgelt tatsächlich in einem Austauschzusammenhang von do ut des?
Dass ein kundenseitiges Verwahrentgelt synallagmatisch i.S.v. § 320 BGB mit einer Verwahrungsleistung der Bank verknüpft ist oder als Gegenleistung in einem Dauerschuldverhältnis erscheint, könnte zumindest schuldvertragsrechtlich nur auf den „Schleichwegen des Lebens“ (Jhering) zu konstruieren sein. Denn während die Verpflichtung, einen Preis für die Kontoführung zu zahlen, vom empirischen Rechtsfolgewillen gedeckt sein wird, bedürfte es für ein angemessenes Verständnis vom Verwahrentgelt bei Durchschnittskunden regelmäßig juristischer Vermittlungsleistung. Dies liegt auch daran, dass beim Verwahrentgelt nicht die bankentypischen, erfahrungsgesättigten Vertragsbeziehungen, sondern die jüngeren, vorformulierten Vertragspapiere den Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegung bilden.
Wird zunächst von der dogmatischen Konstruktion abgesehen und nur die Zweck- und Interessenlage beleuchtet, so können bereits erste Zweifel an dem Begriff und an der Rechtsnatur einer Preisbestimmung angemeldet werden. Allein der ökonomische Charakter des changierenden Entgelts als eine vom Zinsumfeld abhängige Risikobeteiligung vermag das Verwahrentgelt in ein anderes Licht zu stellen (dazu aufschlussreich Baums, Institute for Law and Finance: Working Paper No. 165, S. 7f.). Aus Sicht des AGB-Rechts könnte sogar die Frage aufgeworfen werden, ob ein solcher, bei Gelegenheit eines negativen Zinsumfelds eingeführter „Postenpreis“ überhaupt an einem Konditionen- und Leistungswettbewerb teilnehmen kann, da die sichere Guthabenaufbewahrung nicht bloß eine fakultative Einzelleistung darstellt, sondern zur konstitutiven Infrastruktur des Bankgewerbes selbst gehört (optimistischer, indes allgemein zu Bepreisungen: Habersack, WM 2008, 1857, 1859 f.; zu Marktversagen und Wettbewerb als Grundgedanken des AGB-Rechts vgl. Rodi in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, Anh. zu §§ 305-310 Rn. F 14; Piekenbrock/Rodi, ZBB 2019, 285, 290 – jeweils m.w.N.). Etliche Leistungen im Zahlungsdienste- und Einlagengeschäft sind bloße Serviceleistungen: bei Sichteinlagen etwa die Bargeldverfügbarkeit per Zahlungskarte oder bei Termingeschäften eine automatische Wiederanlage mit (Positiv-)Zinsgarantie. Auf solche Angebote kann verzichtet werden; auf die sichere, d.h. vor allem auf eine insolvenzfeste Guthabenaufbewahrung eines Mindestbetrags, dagegen schon von Gesetzes wegen nicht (vgl. § 1 EinSiG).
Bildet das Pendant zum Verwahrentgelt unter Berücksichtigung seiner großen Bedeutung also doch eine Hauptleistung, auch im Zahlungsdiensterecht bei gegebener Kontoführung nach § 675f Abs. 2 Satz 1 BGB a.E.? Auf der Grundlage der wohl herrschenden Literaturansicht, die von der Einheitlichkeit des Girovertrags ausgeht, könnte dies zwar angenommen werden (zur h.M. bei der Qualifizierung des Girovertrags vgl. nur Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2022, § 3 Rn. 6a, 7; Herresthal in: MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2019, A. Das Giroverhältnis, Rn. 170, 327 – jeweils m.w.N.; a.A. etwa Omlor in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2020, § 675f Rn. 19; Strobel, BKR 2022, 96, 97). Es könnte genauso gut aber auch verworfen werden. Denn, wie bereits angedeutet, hat die sichere Buchgeldaufbewahrung im Girovertrag eine überschießende Tendenz. Sie ist nicht bloß vertragstypenspezifisch im gegenseitigen Leistungsgefüge zwischen Kunde und Institut zu verorten, sondern bildet eine institutionelle, „naturgemäße Voraussetzung“ für die Erfüllbarkeit von Zahlungsaufträgen und vielen anderen Bankleistungen (Zitat von Schwintowski in: jurisPK-BGB, 10. Aufl. 2023, § 675f Rn. 27.1; überzeugend dazu Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 10/2023 Anm. 1 unter C. III. 2. a] bb]; konträr Zahrte, BKR 2022, 69, 73). Schon im eigenen Interesse hat die Bank dafür Sorge zu tragen, dass die Sichteinlagen ihrer Kunden jederzeit „buchungsbereit“ gehalten werden.
Dagegen sind Kunden regelmäßig nicht daran interessiert, ob überhaupt, auf welche Art und Weise oder mit welchem Grad an Sicherheit eine Bank die Guthaben gegen mögliche Gefahren von innen und von außen abschirmt. Anders als bei der regelmäßigen Verwahrung von Wertgegenständen im Bankschließfach kommt es ihnen bei Buchgeld ausschließlich auf eine rechtzeitige Anspruchserfüllung an, namentlich, dass der ausgelöste Zahlungsauftrag termingerecht erledigt oder dass die Gutschrift gemäß den §§ 780, 781 BGB i.V.m. § 675t Abs. 1 BGB taggenau erfüllt wird. Wenn das OLG Dresden dagegen meint (OLG Dresden, Urt. v. 17.10.2023 - 8 U 1389/21 Rn. 47), dass Bankkunden „[t]ypischerweise [...] ein hohes Bedürfnis an der Sicherung ihrer Finanzmittel gegen Verlust“ haben und etwa die Einkommensverwahrung aus Sicherheitsgründen lieber an die Bank delegieren, anstatt das Bargeld beim Arbeitgeber abzuholen, um es zuhause selbst zu verwahren, so sprechen diese Ausführungen nicht unbedingt für eine aus der Erfahrung genommene, tatsächliche Verkehrsanschauung. „Typischerweise“ unterhalten Kunden ein Zahlungskonto nicht wegen der Sicherheit der Verwahrungsleistung, sondern weil eine soziale Teilnahme ohne zahlungstechnische Dienstleistungen einschließlich der Buchgeldaufbewahrung kaum noch möglich ist (kritisch auch Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 10/2023 Anm. 1 unter III.2.a) ee). Eine solche Verkehrsanschauung zeigt sich bereits im rechtspolitischen Bedürfnis nach einem Basiskonto und dem durch die Zahlungskonten-Richtlinie umgesetzten Anspruch aus § 31 ZKG.
II. Streitgegenständlicher Girovertrag als Paradigma des Passivgeschäfts
Hierin liegt auch der bedeutende Unterschied der sicheren Buchgeldaufbewahrung zu vielen anderen vertypten, seit der geänderten Senatsrechtsprechung als Hauptpflichten anzusehenden Zahlungsdiensten i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 ZAG (BGH, Urt. v. 18.06.2019 - XI ZR 768/17; dazu Schmalenbach in: BeckOK BGB, 67. Ed., Stand: 01.08.2023, § 675f Rn. 126a; kritische Würdigung u.a. Fervers, BKR 2019, 165, 167-169; Omlor in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2020, § 675f Rn. 160). Die Ubiquität der Buchgeldaufbewahrung drückt sich besonders auf dem Geschäftsfeld der Universalbanken aus, die für ihre Kunden einheitliche Konten unterhalten, bei denen Zahlungsdienstfunktionen mit Kredit- und Einlagezwecken faktisch einen untrennbaren Nexus eingehen. Das Girokonto bildet sowohl das „Paradigma“ des (erweiterten) Zahlungsdiensterahmenvertrags als auch des Passivgeschäfts überhaupt: Es durchkreuzt auf tatsächlicher Ebene nicht nur die aufsichtsrechtlichen Gebote der Kontentrennung und des Zinsverbots nach § 3 Abs. 3 Satz 1 ZAG, sondern beschäftigt bis heute die Dogmatik mit einer interessengerechten Vertragsqualifizierung (treffend als Paradigma von § 675f Abs. 2 Satz 1 BGB charakterisiert von Herresthal in: MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2019, A. Das Giroverhältnis, Rn. 167, u. Omlor in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2020, § 675f Rn. 15). Die vertragsrechtliche Problematik des Verwahrentgelts sollte dabei nicht als „nur akademisch“ abgetan werden (so aber Langner in: Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2022, § 45 Rn. 87; vgl. dagegen Langner/Brocker, WM 2017, 1917, 1920) oder durch bloße passive „Lernerfahrung“ dem Entdeckungsverfahren der Praxis überlassen bleiben (so aber Renner, AcP 222, 217, 219; ferner in dieser Richtung Freitag, JZ 2022, 132, 135). Es liefert auch keinen Erkenntniswert, die Standardisierungen der Geschäftsbedingungen gegen die Standardisierungen des BGB auszuspielen. Sie liegen auf anderen normativen Ebenen: ius scriptum und ius non scriptum. Beiden „Rechtsquellen“ kann zwar unstreitig ein Normcharakter attestiert werden; doch die Geschäftsbedingungen als ius non scriptum sind nur durch einseitige Setzung legitimiert, haben insbesondere kein partizipatorisches Regulativ zum Ausgleich struktureller Ungleichheit (eingehend dazu Meder, Ius non scriptum, 2. Aufl. 2009, S. 238-248). Gerade an diesem neuralgischen Punkt setzt die Inhaltskontrolle des AGB-Rechts an.
Das Problem des Verwahrentgelts fordert im Ergebnis zu einem frischen Anlauf heraus, um das Einlagengeschäft im Vertragstypenrecht des BGB näherungsweise einer Revision zu unterziehen und um dabei das dispositive Recht im Einklang mit dem XI. Senat des BGH als sozialadäquate und interessengerechte „Rahmen- und Reserveordnung“ zu begreifen (BGH, Urt. v. 09.05.2023 - XI ZR 544/21 Rn. 32-34; Zitat in Anlehnung an Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 8. Aufl. 1995, § 11 S. 186; einen frischen Anlauf wagt etwa Strobel, NJW 2021, 881, Strobel, BKR 2022, 96).
Vor diesem Hintergrund hat das LG Berlin im Rahmen der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zum verwahrungsrechtlichen Element Stellung bezogen und die Vertragsmodelle von Giro- und Tagesgeldkonto mit den Grundgedanken der §§ 675f, 700, 488 BGB abgeglichen. Aus Sicht des AGB-Rechts stellte sich für das LG Berlin freilich das vorgängige Problem der nur beschränkten Wirksamkeitskontrolle von Preisabreden: Ist das Verwahrentgelt mit den essentialia negotii des Giro- und Tagesgeldkontos verknüpft und somit als eine kontrollfreie Vergütung einer Hauptleistungspflicht anzusehen? Oder handelt es sich um eine kontrollfähige Preisnebenabrede, die gar keine verhaltensbezogene Leistung mit Erfüllungsrichtung zum Kunden bepreist, sondern eine Bankleistung pro domo zum Gegenstück hat, die sich vor dem aufsichtsrechtlichen Hintergrund der § 1 EinSiG und § 3 Abs. 1 ZAG in Wahrheit als eine Leistung an sich selbst entpuppt? Die 52. Zivilkammer des LG Berlin argumentierte in der Besprechungsentscheidung für die letztere Wertung und stellte sich damit quer zur derzeitigen obergerichtlichen Rechtsprechung (dazu weiter unten unter A.V., B.III.2., C.I.).
III. Ein kurzer Rückblick auf die Ära der Negativzinsen
Wer hingegen die Zulässigkeit des Verwahrentgelts mit dem typischen Austauschzweck oder der Freiheit rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmacht ad hoc bejahen möchte, sollte den Beginn der Diskussion im Blick behalten. Eine kurze Rückschau erhellt nicht nur die „Vielgestaltigkeit der Bankgeschäfte“ (Bunte/Zahrte, AGB-Banken, 6. Aufl. 2023, 2, Teil: Vorbemerkung, Rn. 24), sondern wirft darüber hinaus ein Licht auf die problematische Zuordnung der Bepreisung zu einzelnen Bankleistungen. Im Kontext des Refinanzierungsgeschäfts trägt es insbesondere zum Verständnis der den Obergerichten entgegengesetzten Besprechungsentscheidung des LG Berlin bei.
Vorbereitet wurde der Streit über Verwahrentgelte in der Zeit der „lockeren Geldpolitik“, als sich das negative Zinsumfeld für die Mindest- und Überschussreserven auch im Passivgeschäft mit Privatkunden, teilweise schon ab einer Mindesteinlage von 5.000 Euro, durch eine „Umkehrung“ der Verzinsung stark bemerkbar machte. Zeitweise erhoben über ein Drittel der Banken im Privatkundengeschäft sog. Negativzinsen auf die Guthaben ihrer Kunden. Nachdem die Geldpolitik der EZB am 11.06.2014 den Zinssatz der Einlagefazilität erstmals unter die schwarze Null absenkte, begann die wissenschaftliche, später auch die gerichtliche Auseinandersetzung um die Zulässigkeit von Negativzinsen auf Sicht- und Spareinlagen – vom Girokonto bis zu Tages-, Termin- oder Festgeldkonten. Im Zentrum der Diskussion standen damals insbesondere die privatrechtliche Bedeutung des Zinsbegriffs, das Problem der Einlagenaufzehrung sowie die gesetzliche Typizität und die vertragliche Pflichtenstruktur des für das Einlagengeschäft als maßgeblich angesehenen Darlehens- bzw. unregelmäßigen Verwahrungsvertrags (vgl. dazu Ernst, ZfPW 2015, 251; Tröger, NJW 2015, 657; Hingst/Neumann, BKR 2016, 95, 97; eingehend Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 5/2022 Anm. 1 unter II.; ferner Rodi in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, Anh zu §§ 305-310 Rn. F 91-F 95).
IV. Vom Negativzins zum Verwahrentgelt zum gespaltenen Vertrag?
Im Laufe der gut achtjährigen Negativzinsära wandelte sich jedoch die Begrifflichkeit und mit ihr die kautelarjuristische Konstruktion: Neben modifizierten Zinsgleit- bzw. Zinsanpassungsklauseln im Preis- und Leistungsverzeichnis traten zunehmend, wie auch in der vorliegenden Besprechungsentscheidung des LG Berlin, sog. „Zusatzvereinbarungen“ zur möglichen Erhebung von Verwahrentgelten. Entsprechende Formulare wurden an Kunden übersandt und gingen regelmäßig mit der Gefahr einer Änderungskündigung bei Zurückweisung einher. Dabei lag die terminologische Neuerung „Verwahrentgelt“ wohl weniger in dem Wunsch nach mehr Rechtsklarheit begründet. Auch die sich durchsetzende Unterscheidung zwischen sog. Neuverträgen, die nach der Zinswende der EZB im Jahre 2014 geschlossen wurden, und Alt- bzw. Bestandsverträgen, bei denen Kunden mit einem Übergang zu einer negativen Verzinsung noch nicht rechnen konnten (zuerst LG Tübingen, Urt. v. 26.01.2018 - 4 O 187/17 - BKR 2018, 109-111 m. Anm. Omlor), bildete keinesfalls den einzigen Anstoß für die Konstruktion eines Verwahrentgelts. Vielmehr folgte die vertragliche Kurskorrektur der Banken auch wegen des unterinstanzlichen Gegenwinds, der die Erhebung von Negativzinsen prinzipiell als unzulässig nach den §§ 305 ff. BGB bewertete (vgl. nur die Übersicht bei Rodi in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, Anh. zu §§ 305-310 Rn. F 91-F 92d; Radke, WM 2023, 960, 962 f.). Hinzu kam die Entscheidung des BGH zur Bepreisung von Ein- und Auszahlungen, wo obiter dictum auch für das „neue“ Zahlungsdiensterecht der gemischt-typische Charakter des Girovertrags herausgestrichen wurde (BGH, Urt. v. 18.06.2019 - XI ZR 768/17 - NJW 2019, 3771 Rn. 26). Dies deutete auf eine gespaltene Bewertung von Zahlungsdienstleistungen einerseits und Darlehens- und Verwahrungsleistungen andererseits hin, was dem Preismodell des Verwahrentgelts Vorschub leistete. Im Urteil war Zergliederung, nicht Zusammenschau der Leistungspflichten das Losungswort und die sog. „Trennungsthese“ vom Girovertrag (so Mülbert bei Kunstreich, WM 2022, 1521, 1521) konnte um ein höchstrichterliches Judikat verstärkt werden.
V. Die Leitbildfrage(n) des LG Berlin
Den vor den Untergerichten verhandelten Leitbildern und Prinzipien des Darlehens-, Verwahrungs- und Zahlungsdiensterechts im Rahmen von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB konnte scheinbar besser entgegnet werden, wenn die kundenseitige Vergütungspflicht „von Vertrags wegen“ eindeutig der bankenseitigen Verwahrungsleistung im Passivgeschäft zugeordnet wurde. Aus Sicht der Banken blieb damit nur noch das Rechtsproblem übrig, dass der unregelmäßige Verwahrungsvertrag in § 700 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB auf „die Vorschriften über den Darlehensvertrag“ verweist. Dies provoziert bis heute Diskussionen darüber, ob das depositum irregulare die Natur des Darlehensvertrags überstreift und an der klaren Rollenverteilung von Kreditor und Debitor partizipiert (so etwa Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 10/2023 Anm. 1 unter C.III.2.a]) oder, was der Ansicht einer kontrollfreien Preisabrede entgegenkommt, ob der § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB einen eigenen Typenverschmelzungsvertrag repräsentiert (überwiegend vertreten, z.B. Bieder in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2020, § 700 Rn. 6; Henssler in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2023, § 700 Rn. 2) und somit einen „echte[n] Vertragstyp“ bildet (Schlinker in: BeckOGK BGB, Stand: 01.10.2023, § 700 Rn. 2; vgl. ferner Langner/Brocker, WM 2017, 1917, 1920). Um es salopp zu formulieren: Mit dem Verwahrentgelt bekam das Kind nur einen anderen Namen, der die problematische Zinszahlungspflicht des Kunden bei Sichteinlagen begrifflich zunächst zu umschiffen versuchte.
Doch änderte sich mit dem nominellen Namenswechsel auch zwingend etwas an der rechtlichen Einordnung und Bewertung der Preisabrede nach AGB-Recht? Für das LG Berlin in der Besprechungsentscheidung ändert sich dadurch jedenfalls nichts. Zur Begründung legt die Kammer den vertraglichen Schwerpunkt auf das Zahlungsdiensterecht der §§ 675c ff. BGB und unterwirft die Prüfung des Preismodells bei Giro- und Tagesgeldkonten dem Kriterium des auftrags- bzw. geschäftsbesorgungsrechtlichen Kostenersatzes. Die Entscheidung überzeugt in Teilen vom Ergebnis. Bei der Begründung besteht Nachholbedarf.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der klagende Dachverband der Verbraucherzentralen begehrt als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG von der beklagten Genossenschaftsbank Unterlassung der Verwendung von zwei formularmäßigen Klauseln in Bezug auf Verträge über Giro- und Tagesgeldkonten. Eine der beiden Klauseln betrifft eine „Zusatzvereinbarung“ zur Vertragsänderung mit dem Inhalt, ein Verwahrentgelt „für alle bestehenden und künftigen unter dieser Kundennummer geführten Kontoverträge“ erheben zu können. Die andere Klausel ist in einem Formular enthalten, mit dem Kunden auf Erstattungsansprüche wegen einer BGH-Entscheidung (Urt. v. 27.04.2021 - XI ZR 26/20) verzichten sollen.
I. Keine Rechtshängigkeitssperre
Eine anderweitige Rechtshängigkeit wegen eines inzwischen vor dem Kammergericht zur Berufung anhängigen Verfahrens (KG Berlin - 5 U 126/21) liege entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor. Dafür fehle es an einer Identität des Streitgegenstands nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Obwohl sich beide Parteien bereits gerichtlich über die Zulässigkeit von Verwahrentgelten auseinandersetzten (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21), habe das Gericht in diesem Verfahren nicht nur über andere Anträge, sondern auch über einen anderen Lebenssachverhalt zu entscheiden. Während in diesem Fall ein an die Kunden übersandtes Formular zur Vereinbarung von möglichen Verwahrentgelten in Rede stehe, war in dem vor der 16. Zivilkammer geführten Verfahren eine Bepreisung durch das Preis- und Leistungsverzeichnisses der Beklagten streitgegenständlich.
II. Verwahrentgelt als kontrollfähige Preisnebenabrede
Zum Verwahrentgelt stellt das Gericht in Anknüpfung an die vom XI. Senat des BGH geprägten Formel fest, dass die Klausel „eine Preisnebenabrede ohne echte Gegenleistung“ darstelle und somit der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliege (Rn. 32). Für die Zahlung des Verwahrentgelts werde von der Bank weder eine Hauptleistung noch eine zusätzliche Sonderleistung erbracht, deren Annahme oder Zurückweisung im Belieben der Kunden stehe. Die Hauptleistungen beim Girovertrag, den das Gericht als einheitlichen Zahlungsdiensterahmenvertrag gemäß § 675f BGB qualifiziert, erschöpften sich in der Erbringung von Zahlungsdiensten i.S.v. § 675c Abs. 3 BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 ZAG. Vor diesem Hintergrund bilde die von der Bank ebenfalls übernommene Verwahrung von kundenseitigen Guthaben lediglich eine Nebenpflicht, die die Erfüllung der Hauptleistungen erst ermögliche. Giroverträge ohne Verwahrfunktion existierten nicht. Folglich könne die unregelmäßige Verwahrung auch selbst keine Hauptleistung sein, da sie nur einen dienenden Charakter habe, um Zahlungsdienste ausführen zu können (Rn. 33).
III. Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1, 2 BGB
Die nach AGB-Recht kontrollfähige Klausel sei auch unwirksam gemäß § 307 BGB. Es liege eine unangemessene Benachteiligung vor, weil die Erhebung eines Verwahrentgelts von den wesentlichen Grundgedanken des § 675f Abs. 5 BGB abweiche und mit dem vertraglichen Leitbild nicht vereinbar sei. So dürften Entgelte für Nebenleistungen gemäß § 675f Abs. 5 Satz 2 BGB nur dann erhoben werden, wenn das Gesetz die Erhebung ausdrücklich zulasse. Eine solche Preisbemessungsfreiheit für die hier in Rede stehende Verwahrungsleistung würden die allein für Zahlungsdienste geltenden §§ 675f ff. BGB jedoch nicht vorsehen. Mit der Verwahrung von Guthaben werde hingegen keine Geldtransaktion vollzogen und sei überhaupt kein Zahlungsdienst im Sinne des ZAG (Rn. 36).
Darüber hinaus widerspreche ein Verwahrentgelt den wesentlichen Grundgedanken des unregelmäßigen Verwahrungsvertrags, der in § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Vorschriften des Darlehensvertrags verweise. Schuldnerin der Gegenleistung sei gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB die Darlehensnehmerin. Sie und nicht der Darlehensgeber habe den Zins zu entrichten. Bei der unregelmäßigen Verwahrung von Guthaben auf dem Girokonto einer Bank sei die Darlehensnehmerin die Bank. Nach dem in § 488 BGB kodifizierten Leitbild habe also die Guthaben verwahrende Bank, nicht aber der das Bar- oder Buchgeld überlassende Kunde ein Entgelt zu leisten. Eine Verkehrung dieser Leistungspflichten, bei der die Kunden als hinterlegende Darlehensgeber zinspflichtig wären, würde dem gesetzlichen Leitbild widersprechen (Rn. 39).
Diese Bewertung der Verwahrentgeltklausel als unwirksam gemäß § 307 BGB finde nicht nur bei Giroverträgen statt, sondern treffe auch bei Tagesgeldkonten zu. Zur Begründung macht sich das Gericht die Ausführungen der 16. Kammer des „Parallelverfahrens“ zu eigen und verweist dazu auf das oben bereits erwähnte Urteil des LG Berlin vom 28.10.2021 (16 O 43/21).
IV. Anspruchsverzicht als Verstoß gegen das Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
Die stattgebende Begründung zum zweiten Unterlassungsantrag, der das Verzichtsformular betrifft, stützt das Gericht ausschließlich auf das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 BGB. Ein Verzicht, der dem Wortlaut nach sämtliche Ansprüche wegen einer BGH-Entscheidung erfassen soll, sei nicht hinreichend transparent. Eine solche Erklärung lasse insbesondere nicht erkennen, „auf welche einzelnen Ansprüche sich der gewünschte Verzicht beziehen kann und welchen Umfang er einnimmt“ (Rn. 46). Ungeachtet einer allgemeinen Kenntnis über mögliche Rückforderungsansprüche könnte ein durchschnittlicher Kunde nicht überblicken, welche Ansprüche ihm im konkreten Fall zustünden und welche er im Einzelnen der Bank durch die Abgabe der Erklärung erlassen würde. Auch den zu erlassenden Gesamtbetrag könne der Kunde ohne Konkretisierung nicht beziffern. Da die Beklagte den kundenseitigen Verzicht begehrte, wäre es auch ihre Obliegenheit gewesen, für eine hinreichende Transparenz zu sorgen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Zahl der unter- und obergerichtlichen Entscheidungen, die sich mit sog. „Negativzinsen“ bzw. der Erhebung von Verwahrentgelten als Preisabrede für Sichteinlagen zu befassen hatten, ist nahezu Legion (vgl. nur LG Tübingen, Urt. v. 26.01.2018 - 4 O 187/17; LG Leipzig, Urt. v. 08.07.2021 - 05 O 640/20, bestätigt durch OLG Dresden, Urt. v. 30.03.2023 - 8 U 1389/21, Girovertrag; LG Frankfurt, Urt. v. 18.11.2022 - 2-25 O 228/21, abgeändert durch OLG Frankfurt, Urt. v. 05.10.2023 - 3 U 286/22, Spareinlagen; LG München I, Urt. v. 20.03.2023 - 22 O 2030/21, Girovertrag; LG Düsseldorf, Urt. v. 10.11.2021 - 12 O 34/21, abgeändert durch OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.03.2023 - 20 U 16/22, Girovertrag; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 28.10.2022 - 7 O 566/21, Berufung anhängig beim OLG Nürnberg, unter Az 3 U 3203/22, Girovertrag; umfassende Darstellung bei Rodi in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, Anh. zu §§ 305-310 Rn. F 91-F 95; sowie bei Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 10/2023 Anm. 1, zu OLG Dresden, Urt. v. 30.03.2023 - 8 U 1389/21, unter A.).
Weitere Entscheidungen, wie etwa die des Kammergerichts in dem Berliner Parallelprozess (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21), stehen kurz bevor, so dass die argumentative Konsolidierungsphase noch nicht abgeschlossen ist, um verwahrungsbezogene Preisabreden entweder nach AGB-Recht als kontrollfähig und unwirksam zu bewerten oder sie als nicht kontrollfähigen Ausfluss der Vertragsinhaltsfreiheit zu erachten. Ein erster Grundkonsens in (obergerichtlicher) Rechtsprechung und Literatur scheint sich zumindest abzuzeichnen: Die vorformulierte Erhebung von Verwahrentgelten im Passivgeschäft unterliegt als Preisvereinbarung für eine Hauptleistung – unbeschadet einer gebotenen Transparenzkontrolle nach den §§ 305c Abs. 1, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – nicht der Inhaltskontrolle (vgl. Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 10/2023 Anm. 1, unter A.).
I. Urteilsgründe des LG Berlin „gegen den Strom“
Widerlegt ist die Gegenansicht damit freilich nicht. Denn die Vertragsqualifikation im Rahmen von § 307 Abs. 2 BGB, insbesondere des nicht typisierten Girovertrags, lässt nach wie vor mehrere Deutungen zu, um die „wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung“ (Nr. 1) bzw. die „Natur des Vertrags“ (Nr. 2) zu bestimmen. Jedenfalls zur Bestimmung des Girovertrags hilft hier auch die jüngere BGH-Entscheidung zum Schuldscheindarlehen nur eingeschränkt weiter (BGH, Urt. v. 09.05.2023 - XI ZR 544/21 Rn. 33, 37, 39 - BKR 2023, 614 mit Anm. Omlor), da die streitgegenständliche Zinsgleitklausel ausschließlich nach dem gesetzlichen Leitbild von § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgelegt wurde. Hinzu kommt, dass der Senat über ein Aktivgeschäft entscheiden musste, sich also das klagende Land und gerade nicht die beklagte Bank in der Rolle der zinsfordernden Darlehensnehmerin befand. Mit Spannung darf daher die Auswahl eines geeigneten „Revisionskandidaten“ zum Verwahrentgelt durch den XI. Zivilsenat des BGH erwartet werden. Über welches der fünf obergerichtlichen Judikate, die derzeit auf eine Revision warten, der Senat zuerst befinden wird, ist nach Auskunft der Pressestelle des BGH „noch nicht entschieden“ (nach F.A.Z. v. 11.10.2023, S. 23 [Kürzel sibi]).
Die hier zu erörternde Entscheidung des LG Berlin in Bezug auf Giro- und Tagesgeldkonten bleibt der von der 16. Zivilkammer gezogenen Linie treu. Die Berliner Linie, auf der grundsätzlich auch das LG Düsseldorf (Urt. v. 10.11.2021 - 12 O 34/21), das LG Nürnberg-Fürth (Urt. v. 28.10.2022 - 7 O 566/21) und das LG Frankfurt (Urt. v. 18.11.2022 - 2-25 O 228/21) liegen, bildet nach derzeitigem Diskussionsstand eine deutliche Mindermeinung (aus der Literatur etwa noch Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 5/2022 Anm. 1 m.w.N.; Feldhusen, VuR 2023, 323, 329; Fest in: MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2019, N. Einlagengeschäft Rn. 443). Angelpunkt für diese Auffassung, wonach das Verwahrentgelt in die Gruppe kontrollfähiger Preisnebenabreden ohne Gegenleistung einzureihen ist, ist die Einordnung des verwahrungsrechtlichen Elements als vorauszusetzende Bedingung der Möglichkeit: Ohne mögliche Verwahrung keine Geldtransaktion, ohne mögliche Geldtransaktion kein Giroverhältnis. Einen gesetzlichen Hinweis dafür gebe auch die Vorschusspflicht des § 669 BGB (so indes nur LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21 Rn. 50). In dieselbe Richtung geht auch die 52. Zivilkammer des LG Berlin in der Besprechungsentscheidung und rekurriert maßgeblich auf den einheitlichen Charakter des Girovertrags sowie auf das Leitbild des Zahlungsdiensterechts, insbesondere auf die Entgeltvorschrift des § 675f Abs. 5 Satz 1 BGB, und flankiert diese Begründung zusätzlich mit einem Verstoß gegen die Grundgedanken der §§ 700, 488 BGB. Sollen Giroverträge um eine solche Klausel ergänzt werden, sei dies eine „unangemessene Benachteiligung“ i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
II. Die Problematik des AGB-Rechts: Verwahrentgelt als Preisnebenabrede?
Gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegen nur solche Klauseln einer Inhaltskontrolle, bei denen der Verwender eine „von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung“ bestimmt. Nach gefestigter Rechtsprechung sind daher Geschäftsbedingungen, die lediglich den Inhalt der Hauptleistung konkretisieren oder die für die Hauptleistung vorgesehene Gegenleistung festlegen, der AGB-Kontrolle entzogen und – von den §§ 134, 138, 242 BGB abgesehen – einer gerichtlichen Angemessenheitsprüfung überhaupt entzogen (vgl. nur BGH, Urt. v. 04.07.2017 - XI ZR 562/15; Wendland in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, § 307 Rn. 284; Wurmnest in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 307 Rn. 17 – jeweils m.w.N.; zur Kritik an der Unterscheidung vgl. Herrresthal in: MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2019, A. Das Giroverhältnis Rn. 368 m. Note 1092, 488). Die freie Bestimmung von Leistung und Gegenleistung betrifft nicht nur das Prinzip marktwirtschaftlicher Preisfindung, sondern berührt ebenso den „Kernbereich der Ausübung privatautonomer Handlungsfreiheiten“ (BGH, Urt. v. 09.05.2023 - XI ZR 544/21 Rn. 43). Eine selbstbestimmte Regelung, mit der Güter und Leistungen zugeordnet werden, soll in ihrer Anerkennung durch die Rechtsordnung als Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts deshalb unbeeinträchtigt bleiben (grundlegend Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, 4. Aufl. 1992, S. 3-8).
1. Kontrollfähige Preisnebenabrede ohne entsprechende (Gegen-)Leistung
Preisnebenabreden sind nach herrschender Ansicht dagegen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB zugänglich (vgl. nur Wurmnest in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 307 Rn. 18 m.w.N.). Zum einen werden hierunter Abreden gefasst, die den Preis für eine Leistung nicht unmittelbar festlegen, sondern nur mittelbar beeinflussen, wie etwa besondere Zahlungsvorgaben oder Fälligkeitsregelungen. Soweit dispositives Gesetzesrecht solche Abreden vertreten kann, sei eine Inhaltskontrolle zulässig. Erbringe die Bank für das Entgelt aber eine „zusätzlich angebotene Sonderleistung“, die auf vertraglicher Basis über das gesetzliche Leistungsprogramm hinausgeht, scheide eine Inhaltskontrolle wegen der Nähe zu Preisabreden für Hauptleistungen aus (st. Rspr., etwa BGH, Urt. v. 07.06.2011 - XI ZR 388/10 Rn. 19).
Zum anderen, und dieses Verständnis ist insbesondere für das Verwahrentgelt relevant, handelt es sich bei Preisnebenabreden um formularmäßige Entgeltbestimmungen, mit denen überhaupt keine „echte“ Sachleistung an den Kunden vergütet wird, sondern bloß bankenseitiger Kostenaufwand im eigenen Interesse abgewälzt werden soll. Darunter fallen etwa Bankentgelte für „allgemeine Betriebskosten“ oder für Aufwand, der bei der Erfüllung von gesetzlichen oder nebenvertraglichen Pflichten oder bei sonstigen Tätigkeiten im eigenen Interesse anfällt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 13.11.2012 - XI ZR 500/11 Rn. 13; eingehend Bunte/Zahrte, AGB-Banken, 6. Aufl. 2023, 2. Teil: AGB-Banken, Nr. 12 Rn. 240 m.w.N.).
2. Neubewertung des Zahlungsdiensterechts durch den BGH
Diese feingliedrige Differenzierung zwischen kontrollfreien Hauptleistungsabreden sowie über das dispositive Recht hinausreichende Sonderleistungsabreden einerseits und kontrollfähigen Nebenabreden, die den Preis nur mittelbar regeln bzw. mit denen keine echte Sachleistung vergütet wird, klingt vage bereits im § 312a Abs. 3 BGB an. Auch mit Blick auf Art. 4 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie (RL 93/13/EWG) und auf dessen Auslegung durch den EuGH werden Parallelen zur Formel des BGH deutlich (Fornasier in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 307 Rn. 236). Darüber hinaus haben die verbandsmäßigen AGB-Banken (Fassung: Januar 2023) sowie die AGB-Sparkassen (Fassung: September 2021) den richterrechtlichen Maßstab zu nicht entgeltfähigen Nebenleistungen nahezu wortgleich in Nr. 12 Abs. 3 bzw. Nr. 17 Abs. 4 übernommen. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der XI. Senat diese longa consuetudo jüngst für Zahlungsdienste i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 ZAG bzw. für die in den §§ 675c ff. BGB typisierten Zahlungsvorgänge nicht mehr aufrechterhält und explizit verworfen hat (BGH, Urt. v. 18.06.2019 - XI ZR 768/17 Rn. 27f.; kritisch dazu Foerster in: BeckOGK BGB, Stand: 01.06.2023, § 675f Rn. 107). Der zugleich offengehaltene Weg für eine Kontrollfähigkeit über § 312 Abs. 4 Nr. 2 BGB ist in der Literatur teilweise auf Kritik gestoßen (vgl. nur Rodi in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, Anh. zu §§ 305-310 Rn. F 42a-F 42c m.w.N.).
3. Zweigleisige Qualifizierung durch das LG Berlin
Die unterinstanzliche Rechtsprechungslinie Berlins hält im Kern an dieser Differenzierung fest, bemüht aber eine Begründung, die sich nicht zwingend in Widerspruch mit der neuen Senatsrechtsprechung begibt, da sie die Verwahrung als eine „zahlungsdienstfremde Leistung“ qualifiziert (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21 Rn. 47). Die Vergütung einer solchen Fremdleistung bei einem Zahlungsdiensterahmenvertrag sei daher als kontrollfähige Preisnebenabrede anzusehen. Eine entsprechende Klausel verstoße auch gegen die wesentlichen Grundgedanken von § 675f Abs. 5 Satz 1 BGB, da das Zahlungsdiensterecht eine Entgeltregelung für Verwahrleistungen nicht vorsehe. Diese Begründung kann jedoch nicht überzeugen. Schon der Wortlaut von § 675f Abs. 5 Satz 2 macht deutlich, dass Nebenpflichten nur „nach diesem Untertitel“ unter gesetzlichem Erlaubnisvorbehalt stehen.
Mit Blick auf den weiteren Streitgegenstand, das Verwahrentgelt für Tagesgeldkonten, sichert die Kammer ihre Begründung allerdings zusätzlich mit den Grundgedanken des unregelmäßigen Verwahrungsvertrags gemäß den §§ 700, 488 Abs. 1 Satz 2 BGB ab. Wegen des Verweises auf die Regeln des Darlehensvertrags könne der Hinterleger nicht zinspflichtig und somit auch nicht Schuldner eines Verwahrentgelts werden. Auch für einen Vertrag i.S.v. § 700 BGB sei es typisch und wesentlich, dass – wie im Darlehensrecht nur der Darlehensgeber – ausschließlich der Verwahrer dem Hinterleger ein Entgelt zu leisten hat, nicht aber umgekehrt, der Hinterleger dem Verwahrer (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21 Rn. 38 f.).
Auch das zweite Standbein, mit dem die Kammer einen Verstoß gegen das gesetzliche Leitbild stützt, vermag nicht recht zu überzeugen. Zwar ist die Qualifizierung der Buchgeldaufbewahrung bei Sichteinlagen nach darlehensrechtlichen Wertungen nichts Ungewöhnliches und wird in der Literatur häufig vertreten (vgl. nur Berger in: Jauernig, BGB, 19. Aufl. 2023, § 675f Rn. 17; K.P. Berger in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2023, Vor § 488 Rn. 69; Binder in: BeckOGK BGB, Stand: 01.08.2023, § 488 Rn. 24; Suendorf-Bischof, BKR 2019, 279, 280 – jeweils m.w.N.). Auch der BGH spricht von einer „Darlehens- und Verwahrungsfunktion“ (BGH, Urt. v. 28.07.2015 - XI ZR 434/14 Rn. 33), die als „weitere Leistungen der Bank“ im Giroverhältnis enthalten seien (BGH, Urt. v. 18.06.2023 - XI ZR 768/17 Rn. 26; ferner z.B. BGH, Urt. v. 08.07.1982 - I ZR 148/80 Rn. 11). Allerdings wird mit dieser Qualifizierung des Verwahrelements gerade die Kontrollfähigkeit wieder in Zweifel gezogen. Denn prima facie liegt es wesentlich näher, die so herausgehobene, „zahlungsdienstfremde“ Leistung auch als eine eigenständige Hauptleistung bei Giro- und Tagesgeldkonten zu bewerten, womit das Entgelt wieder kontrollfrei wäre.
4. Das überzeugende Kernargument: Verwahrentgelt als versteckte Risikobeteiligung
Der entscheidende Gesichtspunkt für eine Kontrollfähigkeit und für eine unangemessene Benachteiligung droht dagegen bei den Urteilsgründen übersehen zu werden. Erst in einem Folgeabschnitt, der ausweislich nur noch die Interessenabwägung nach der indiziellen Vermutung im Rahmen von § 307 Abs. 2 BGB behandelt, liefert das LG Berlin das bei weitem stichhaltigste Argument für die Bewertung einer kontrollfähigen, unzulässigen Preisnebenabrede. Hier stellt die Kammer heraus, dass die Frage, „ob das [der Bank] überlassene Kapital gewinnbringend genutzt werden kann“ oder zu einem Verlustgeschäft führe, allein in die „Sphäre der Beklagten“, d.h. in die betriebswirtschaftliche Eigenzuständigkeit der Banken falle. Eine Refinanzierungsmöglichkeit bilde ausschließlich ein „Geschäftsrisiko“ der Bank, das nicht ohne Weiteres auf den Kunden abgewälzt werden könne (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21 Rn. 40; LG Berlin, Urt. 28.10.2021 - 16 O 43/21 Rn. 55). Mit dieser Einordnung des Verwahrentgelts als abgewälztes Geschäftsrisiko stößt die Kammer zum Kern einer Kontrollfähigkeit und einer Unzulässigkeit nach § 307 Abs. 2 Nr. 1, 2 BGB vor. Denn hierin kommt zum Ausdruck, dass die Guthabenaufbewahrung nicht nur eine die Bank treffende Gesetzespflicht nach Aufsichtsrecht ist, sondern darüber hinaus auch eine Leistung an sich selbst im eigenen Interesse darstellt, da mit dem überlassenen Kapital „in guten Jahren“ einträglich gewirtschaftet wurde und gegenwärtig auch erneut gewinnbringend operiert werden kann.
Wälzt nun die Bank mit Einführung eines sog. Verwahrentgelts „in schlechten Jahren“ das verwirklichte Risiko auf den Kunden ab, so widerspricht diese, klar als Preisnebenabrede zu qualifizierende Klausel dem Leitbild der §§ 700, 488 BGB. Denn das Verwendungsrisiko der Einlage ist, nicht anders als bei Sachleistungen in Güteraustauschverträgen (h.A.; vgl. nur BGH, Urt. v. 01.06.1979 - V ZR 80/77 Rn. 12; St. Lorenz in: BeckOK BGB, Stand: 01.08.2023, § 313 Rn. 64 m.w.N.), typisch und prinzipiell dem Verwahrer zugewiesen. Gerade die Eigentumsübertragung des Hinterlegers bzw. die damit zusammenhängende „Erlaubnis einer Aneignungshandlung“ des Verwahrers (so Esser, Schuldrecht, 1. Aufl. 1949, § 260, S. 336) ordnet das Risiko, die Einlage wirtschaftlich nutzen zu können, originär der Bank als Rückgewährschuldnerin zu (vgl. zum Verwendungsrisiko eingehend Sorge, Verpflichtungsfreier Vertrag, 2018, S. 370-421).
Eine entsprechende Klausel, die dieses Risiko als Verwahrentgelt in die Geschäftsbedingungen einführt, kann daher nicht nur einen Überrumpelungseffekt nach § 305c Abs. 1 BGB zeitigen oder intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sein. Vielmehr bildet sie beim Einlagengeschäft eine der Inhaltskontrolle zugängliche Preisnebenabrede, die mit den Grundgedanken des unregelmäßigen Verwahrungsvertrags in Konflikt steht und nach dem BGH (oben unter C.II.1.) ein Entgelt festsetzt, mit dem keine Erfüllungsleistung vergütet, sondern bloß ein bankenseitiges Risiko auf den Kunden abgewälzt wird (zutreffend Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 10/2023 Anm. 1, unter C.III.2 a) cc) u. b); Dehne-Niemann, jurisPR-BKR 5/2022 Anm. 1, unter III. b) bb); Feldhusen, VuR 2023, 323, 328; in der Analyse ähnlich Baums, Institute for Law and Finance: Working Paper No. 165, S. 7f.).
III. Weiterführende Themenfelder: Vertragsinhaltsfreiheit und Vertragstypen – Störungen und Schranken
Gegen die Ansicht des LG Berlin ist häufig die Vertragsinhaltsfreiheit für Neuverträge ins Feld geführt worden. In der Ausgestaltung der Vertragsbeziehung, insbesondere in der privatautonomen Leistungs- und Preisgestaltung, seien die Parteien nicht den Vertragstypen des BGB unterworfen (vgl. nur Binder, ZBB/JBB 2023, 217, 222 f.; Langner in: Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, § 45 Rn. 85-87; RRenner, AcP 222, 217, 244-247, 251 f.; Schmalenbach in: BeckOK BGB, 67. Ed., Stand: 01.08.2023, § 675f Rn. 127a). Richtig daran ist, dass der römisch-rechtliche Typenzwang für klagbare Verträge keinen Eingang ins Gesetz gefunden hat. Auch die Protokolle des BGB zur Beratung des unregelmäßigen Verwahrungsvertrags sprechen eine deutliche Sprache: „Die Entscheidung darüber, was die Parteien gewollt haben, werde am sichersten aus der Würdigung des einzelnen Falles entnommen.“ (Prot. d. 2. Kom., S. 2378 = Mugdan II, S. 972).
Unbestritten bleibt mithin die Freiheit zur atypischen Kombination diverser Leistungen, um Zinsgleit- oder Zinsanpassungsklauseln zu vereinbaren, z.B. mit einer verwahrungsvertraglichen Annäherung an § 689 BGB (Freitag, JZ 2022, 132, 134), mit dem Abschluss eines „zwischen Darlehen und unregelmäßiger Verwahrung oszillierenden Innominatvertrag[s]“ (Ernst, ZfPW 2015, 251, 253) oder mit einem Darlehensvertrag sui generis einschließlich einer echten „Aufbewahrungkomponente“ (Strobel, NJW 2021, 881, 884 Rn. 23, 26). Ob sich mit der vertraglichen Neukonfiguration von Leistungspflichten aber zugleich die AGB-rechtliche Bewertung der Gegenleistung, also der Preisbestimmung ändert, obwohl sich an dem tatsächlichen Inhalt der Leistungen gar nichts ändert, erscheint im Falle des Verwahrentgelts mehr als zweifelhaft. „Die Bank gewinnt immer“, kommentiert Mülbert auf dem Bankrechtstag 2022 mit einem Kasinovergleich die hohe Kunst institutioneller Vertragsgestaltung (Mülbert bei Kunstreich, WM 2022, 1521). Man ist geneigt, privatrechtlich darauf zu antworten: So soll es sein, suum cuique tribuere im freien Leistungswettbewerb – aber nicht zu allen Bedingungen.
Die verhaltens- und erfolgsorientierten Obligationen und Leistungen i.S.v. § 241 Abs. 1, 2 bzw. § 362 Abs. 1 BGB bleiben den empirischen Tatsachen unweigerlich verbunden. Ausgangspunkt ist dabei der erklärte Rechtsfolgewille der Vertragsparteien, während am Zielpunkt die so begründeten Obligationen mit Erfüllung ihr ordnungsgemäßes Ende finden. Liegt aber bei Vertragsbegründung oder während der Abwicklung eine Störung vor oder stellt sich eine solche später heraus, greifen vor allem willensunabhängige, normative Regeln, insbesondere zur (ergänzenden) Vertragsauslegung, zur Reserveordnung des Vertragstypenrechts, zum AGB-Recht und zum speziellen Zahlungsdiensterecht. Auch für diese Regeln bleiben die dem Vertragsverhältnis zugrunde liegenden Fakten entscheidend. Eine Störungstatsache kann auch darin gesehen werden, dass – gemäß des eingangs erwähnten Prinzips der Entgeltlichkeit – einer verabredeten Gegenleistung die ursprüngliche Leistung fehlt. Da ein Schenkungszweck seitens der Kunden nicht vermutet werden kann, liegt folglich nicht nur eine wertmäßige Äquivalenzstörung vor, sondern zumindest eine auf die Leistungsabrede bezogene Vertragsstörung im weiteren Sinne, d.h. ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1, 2 BGB vor. Auch dem sog. Verwahrentgelt des Kunden steht keine sachhaltige Erfüllungsleistung der Bank gegenüber, sondern die für ein Entgelt erbrachte Leistung erschöpft sich faktisch in der aufsichtsrechtlichen Pflichterfüllung im eigenen Interesse bzw. in dem Eigenrisiko, die Einlage des Kunden über die Einlagefazilität bei der EZB gewinnbringend vermehren zu können.
Der Vertragsqualifikation kommt beim Passivgeschäft der Banken die wichtige Aufgabe zu, das Leistungsprogramm im Hinblick auf mögliche Störungen und einhegende Schranken vorzustrukturieren. Anders als beim Thema „Verwahrentgelt“ und „Negativzinsen“ bisweilen behauptet, hat die durch die Rechtsprechung geprägte und von der Rechtswissenschaft begleitete Vertragsqualifikation nicht nur den rezeptiven Auftrag, Verkehrssitten und Usancen zu beobachten, sondern sie hat „durchaus auch eine autonomiebegrenzende Funktion“: den Geschäftstyp bestimmen die Parteien; die normativen Mindestanforderungen, Schranken und Störungsregeln das Gesetz im Verbund mit der Rechtsprechung (Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 8. Aufl. 1995, S. 211; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, 4. Aufl. 1992, S. 14 f.).
Diese weitausgreifende Thematik zur Schrankenwirkung der Vertragsqualifikation im Passivgeschäft der Banken kann in dem hier gesetzten Rahmen freilich nicht vertieft werden und bleibt einem eigenen Beitrag überlassen. Nur ein Punkt zum Girovertrag sei noch angedeutet. So ist der Girovertrag nicht mit dem Zahlungsdiensterahmenvertrag gleichzusetzen (h.M.; vgl. nur Omlor in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2020, § 675f Rn. 16; Schmieder in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl. 2020, § 675f Rn. 12 f. – jeweils m.w.N.). Das enge Korsett an Leistungsbestimmungen und Preisbemessungsgrenzen hegt den nach der Kombinationstheorie richtigerweise als gemischt-typischen Vertrag qualifizierten Girovertrag folglich nur für den Bereich der Zahlungsvorgänge ein (a.A., nur zusammengesetzter Vertrag mit bloß äußerlich verknüpften Leistungen im Sinne einer „Geschäftseinheit“: Rodi in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, Anh. zu §§ 305-310 Rn. F 92a; Strobel, BKR 2022, 96, 97). Das beim Girovertrag mitbediente Einlagengeschäft wird überwiegend als „Erweiterung“ des klassischen Zahlungskontos angesehen und, wie oben bereits erwähnt, mit der überwiegenden Ansicht der unregelmäßigen Verwahrung nach den §§ 700, 488 BGB zugeordnet. Dies erscheint jedoch nicht ganz unproblematisch, wird der Blick auf das einheitlich geführte Konto und auf die Prinzipien der Kontenklarheit und Kontenwahrheit gelenkt. Zutreffend weist Herresthal darauf hin, dass der durch die Kontokorrentabrede gesetzte Zweck, nämlich die Guthaben dem Zahlungsverkehr zu widmen, nicht willkürlich in einen anderen Einlagezweck umgedeutet wird (Herresthal in: MünchKomm HGB, 4. Aufl. 2019, A. Das Giroverhältnis, Rn. 327). Auch mit Blick auf § 3 Abs. 3 Satz 1 ZAG sei eine solche Umdeutung problematisch. Genau dies geschieht jedoch, wenn erst ab einer Mindesteinlagesumme auf dem Girokonto ein Verwahrentgelt bzw. ein Negativzins greifen soll.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis enthält die Besprechungsentscheidung keine neuen Hinweise. Die Bewertung des Verwahrentgelts als unangemessene Benachteiligung und die Urteilsgründe im Einzelnen sind aus dem vorhergehenden Verfahren vor der 52. Zivilkammer hinlänglich bekannt (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21). Einen Richtentscheid, der die Auffassungen des LG Berlin bestätigt bzw. ablehnt, wird es erst mit dem anhängigen Berufungsverfahren vor dem Kammergericht geben.
Hinzu kommt, dass Negativzinsen und Verwahrentgelte vorerst Geschichte sind. Nach den geldpolitischen Beschlüssen des EZB-Rats vom 21.07.2022 erreichte der Zinssatz wieder die Null. Die Inanspruchnahme der Einlagefazilität bei der EZB ist dank der erreichten Talsohle seit September 2022 sprunghaft um über das Sechsfache gestiegen (EZB, Stand: 01.08.2023, via Statista 2023) und viele Preis- und Leistungsverzeichnisse von Banken sind seitdem von entsprechenden Klauseln bereinigt. Doch allein die Frage bleibt: für wie lange? Ungeachtet weiterer Zinsschritte kann ein Konjunktureinbruch, vor allem eine tiefe Rezession, die Notenbank erneut zu einer expansiven Geldpolitik bewegen. Dass darüber hinaus der Kostendruck im Privatkundengeschäft in Zukunft bestehen bleiben wird, sich nicht zuletzt wegen nahezu kostenloser Transaktionen mittels digitaler Vermögenswerte voraussichtlich sogar noch verschärfen wird, dürfte unstreitig sein. Nicht nur in Sachen „Verwahrentgelt“ wird daher die alsbaldige Klärung durch den XI. Senat des BGH ein Stück weit für längerfristige Rechtssicherheit sorgen können.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
I. Anderweitige Rechtshängigkeit
Die Urteilsgründe der Besprechungsentscheidung bilden lediglich ein Kondensat der wesentlich umfangreicheren Erörterung der 52. Zivilkammer im ersten Verfahren (LG Berlin, Urt. v. 09.03.2023 - 52 O 103/22). Dies beruht nicht nur auf dem Bedürfnis, eine einheitliche Rechtsprechungslinie desselben Gerichts zu verfolgen. Werden Anträge, Lebenssachverhalt und Urteilsformel berücksichtigt, so ist die Ähnlichkeit der Gründe vielmehr ein starkes Indiz für eine Identität des Streitgegenstands und somit für das Vorliegen eines Prozesshindernisses nach § 261 Nr. 1 ZPO. Hätte ein Sachurteil im zweiten Berliner Verfahren wegen der Rechtshängigkeitssperre gar nicht ergehen dürfen?
Parteiidentität ist zweifelsfrei gegeben: In beiden Verfahren standen sich der verbrauchschützende Dachverband und die Genossenschaftsbank gegenüber. Die Identität des Streitgegenstands wurde hingegen verneint. Dies ist jedoch keineswegs so unproblematisch, wie es das Gericht zur Zulässigkeit feststellt (Rn. 19-21). Derselbe Streitgegenstand liegt bekanntlich vor, wenn der prozessuale Anspruch und der zugrunde liegende Lebenssachverhalt des ersten und zweiten Prozesses übereinstimmen (allgemeine Ansicht; vgl. nur BGH, Urt. v. 17.05.2001 - IX ZR 256/99 Rn. 12; BGH, Urt. v. 07.03.2002 - III ZR 73/01 Rn. 14; vgl. Becker-Eberhard in: MünchKomm ZPO, 6. Aufl. 2020, § 261 Rn. 56 m.w.N.). Zwar unterscheiden sich die Unterlassungsanträge in beiden Verfahren dahin gehend, dass mit dem ersten Verfahren, wie auch das LG Berlin zutreffend herausstellt, das Preis- und Leistungsverzeichnis angegriffen wurde, während es in der Besprechungsentscheidung um die zu unterlassende Verwendung der „Zusatzvereinbarung“ geht. Was den Inhalt der streitgegenständlichen Vertragsbedingungen angeht, liegen indes nicht nur Überschneidungen vor. Vielmehr befinden sich beide Bedingungen in einem Konnex miteinander und bedingen sich inhaltlich sozusagen selbst. Auch die Tenorierung der Verfahren zielt, wie bei Unterlassungsklagen wegen der Verwendung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen üblich, nicht nur auf die konkret angegriffene Klausel, sondern alternativ auf „mit diesen inhaltsgleiche[n] Bestimmungen“ (LG Berlin, Urt. v. 09.03.2023 - 52 O 103/22) bzw. „mit diesen inhaltsgleiche[n] Klauseln“ (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2021 - 16 O 43/21). Dass vor diesem Hintergrund im zweiten Verfahren keine anderweitige Rechtshängigkeit vorliegt, erscheint fragwürdig.
II. Verzichtserklärung
Die mit dem zweiten Klageantrag angegriffene Verzichtserklärung, wonach Kunden der Bank sämtliche Erstattungsansprüche wegen in der Vergangenheit unwirksam erfolgter Vertragsänderungen infolge des BGH-Urteils (BGH, Urt. v. 27.04.2021 - XI ZR 26/20) erlassen sollten, bewertet die Kammer als einen Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BGB. Ob indes die von der Beklagten gewählte Formulierung tatsächlich als ein Verstoß gegen das Bestimmtheits- und Verständlichkeitsgebot zu bewerten ist, dürfte vor dem Hintergrund eines anderslautenden Judikats des LG Stuttgart zu einem ähnlichen Schreiben einer Genossenschaftsbank noch vertieft zu erörtern sein (LG Stuttgart, Urt. v. 15.02.2022 - 34 O 98/21 KfH; nach Rodi, EWiR 2023, 515, 516, Anm. zu LG Berlin, Urt. v. 09.03.2023 - 52 O 103/22). Andererseits ist zu bedenken, dass ein (echter) Anspruchsverzicht als Verfügungsvertrag auch ohne AGB-Verwendung dem inhaltlichen Bestimmtheitsgebot genügen muss (vgl. nur Stürner in: Jauernig, BGB, 19. Aufl. 2023, § 397 Rn. 2). Wenn der Kunde auf „sämtliche gegenwärtige Ansprüche“ verzichten soll, so ist der Argumentationsgang des LG Berlin nicht von der Hand zu weisen. Eine Umdeutung bzw. eine geltungserhaltende Reduktion im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu einem pactum de non petendo dürfte dabei wegen § 306 Abs. 3 BGB von vornherein ausscheiden.



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