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Anmerkung zu:OLG Düsseldorf 6. Kartellsenat, Urteil vom 27.07.2023 - 6 U 1/22 (Kart)
Autoren:Dr. Katrin Gaßner, RA'in, Partnerin,
Dr. Annika Kreis, RA'in
Erscheinungsdatum:27.10.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 81 GWB, § 258 StGB, § 33a GWB, § 30 OWiG 1968, § 43 AktG, § 93 AktG, § 249 BGB, § 43 GmbHG, § 78a StGB, 12016E101, 12016E105
Fundstelle:jurisPR-Compl 5/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Norbert Nolte, RA
Zitiervorschlag:Gaßner/Kreis, jurisPR-Compl 5/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Haftung von Vorstand und Geschäftsführer für Kartellgeldbußen der Gesellschaft



Leitsätze

1. Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens.
2. Die Verjährung von Regressansprüche gegen einen Geschäftsführer oder Vorstand wegen deren Beteiligung an einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch beginnt im Falle einer Grundabsprache mit dem letzten zu einer Bewertungseinheit zusammengefassten Teilakt („Einzeltat“).



A.
Problemstellung
Für Unternehmen, die aufgrund von Anknüpfungstaten ihrer Organe mit einer Verbandsgeldbuße belegt worden sind, stellt sich regelmäßig die Frage, ob sie die verhängte Geldbuße im Wege des gesellschaftsrechtlichen Binnenregresses (§ 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) von dem pflichtwidrig handelnden Organ ersetzt verlangen können. Diese umstrittene und noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage stellt sich in der Rechtsprechung bislang insbesondere hinsichtlich Kartellgeldbußen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das OLG Düsseldorf hatte vorliegend darüber zu entscheiden, ob zwei Gesellschaften von ihrem ehemaligen Geschäftsführer bzw. Vorstandsvorsitzenden gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG eine Kartellgeldbuße, im Bußgeldverfahren angefallene Aufklärungs- und Verteidigungskosten sowie (künftige) Schäden aus Kartellschadensersatzforderungen ersetzt verlangen können. Der Beklagte hatte als Vorstandsvorsitzender einer AG und Geschäftsführer einer GmbH, einer 100%igen Tochtergesellschaft der AG, an einem wettbewerbswidrigen Informationsaustausch mitgewirkt (§ 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV). Das Bundeskartellamt verhängte daraufhin gegen die GmbH eine Geldbuße i.H.v. 4,1 Mio. Euro; darüber hinaus drohen der GmbH Kartellschadensersatzforderungen nach § 33a GWB. Das Bußgeldverfahren gegen die AG wurde eingestellt; ihr entstanden in Bezug auf die Vorwürfe aber Aufklärungs- und Verteidigungskosten i.H.v. über 1 Mio. Euro.
Obwohl das OLG Düsseldorf im Ausgangspunkt eine im Innenverhältnis schuldhaft begangenen Legalitätspflichtverletzung des beklagten Geschäftsführers bzw. Vorstandsvorsitzenden bejahte, verneinte es eine Ersatzpflicht des Beklagten für die gegen die GmbH verhängte Geldbuße. § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG seien im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Verbandsgeldbuße sowie die Besonderheiten des nationalen kartellrechtlichen Sanktionensystems teleologisch zu reduzieren. Die Verbandsgeldbuße bezwecke, das rechtlich verselbstständigte Vermögen der juristischen Person nachhaltig zu treffen. Daher könne es nach Ansicht des OLG Düsseldorf nicht gewollt sein, diese auf das Organ abzuwälzen. Der Gesetzgeber wolle vielmehr das Vermögen des Unternehmens, nicht aber das der natürlichen Person belasten. Dies belegten auch die nach nationalem Kartellrecht vorgesehenen Bußgeldrahmen, die für Unternehmen deutlich höher ausfallen als für natürliche Personen. Zudem liefe im Falle einer Regressmöglichkeit die Sanktionswirkung einer Geldbuße gegen das Unternehmen faktisch leer und die Geldbuße werde (in diesem Fall bereits durch das LG Frankfurt am Main bestätigt, Urt. v. 20.01.2023 - 2-08 O 313/20) auf die D&O-Versicherung des Beklagten verlagert. Indem eine Verbandsgeldbuße notwendigerweise eine Anknüpfungstat einer Leitungsperson voraussetze, erfasse der Gesetzgeber zudem nur solche Fälle, in denen die Leitungsperson im Innenverhältnis eine Legalitätspflichtverletzung begangen habe. Damit sei zugleich ausgeschlossen, dass die Sanktion im Wege der zivilrechtlichen Haftung wieder auf diese Leitungsperson umgelenkt werde.
Auch die Entscheidung des BGH, nach der für den Regress eines mit einer Geldbuße belegten Mandanten gegen seinen Berater die Wertungen des Ordnungswidrigkeitenrechts einen Rückgriff nicht ausschließen (BGH, Urt. v. 15.04.2010 - IX ZR 189/09 Rn. 7 m.w.N.), stehe nach Ansicht des OLG Düsseldorf mangels Vergleichbarkeit zum Binnenregress nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG einer teleologischen Reduktion nicht entgegen. So betreffe die Beraterhaftung Konstellationen, in denen der Geschädigte alleiniger Sanktionsadressat ist. Demgegenüber sei die Verbandsgeldbuße gerade auf die „Verantwortlichkeit mehrerer“ zugeschnitten, indem sie eine Anknüpfungstat der Leitungsperson voraussetze. Auch soweit der BGH entschieden habe, dass die Bereitstellung der zur Zahlung der Geldbuße erforderlichen Mittel keine Strafvereitelung nach § 258 StGB darstelle (BGH, Urt. v. 07.11.1990 - 2 StR 439/90 Rn. 65 ff.), ergebe sich daraus lediglich, dass das Verhalten des Dritten nicht strafwürdig sei. Daraus folge aber nicht, dass der Sanktionszweck der Verbandsgeldbuße nicht vereitelt werde.
Im Hinblick auf die Aufklärungs- und Verteidigungskosten der AG entschied das OLG Düsseldorf, diese seien nicht ersatzfähig, da diese ausschließlich zur Abwehr bzw. zur Reduzierung der Geldbuße angefallen seien. Soweit aber die festgesetzte Geldbuße nicht regressfähig sei, sollen die hierfür aufgewendeten (Neben-)Kosten „ihr Schicksal teilen“.
Das OLG Düsseldorf bejahte indes eine Ersatzpflicht des Beklagten für drohende Kartellschadensersatzansprüche Dritter nach § 33a GWB. Diese unterfielen nicht der im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Verbandsgeldbuße gebotenen teleologischen Reduktion, so dass insoweit die Haftungsvoraussetzungen der §§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, 43 Abs. 2 GmbHG im Hinblick auf die drohenden Kartellschadensersatzansprüche Dritter vorlägen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf reiht sich in mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen ein, die einen Kartellbußgeldregress verneint haben. So hat das LArbG Düsseldorf einen Binnenregress ebenfalls unter Verweis auf die Sanktionswirkung der Verbandsgeldbuße und ein Leerlaufen der unterschiedlichen Bußgeldrahmen für natürliche und juristische Personen abgelehnt (LArbG Düsseldorf, Teilurt. v. 20.01.2015 - 16 Sa 459/14 - NZKart 2015, 277, 278 f.). Auch für von der EU-Kommission verhängte Kartellgeldbußen hat das LG Saarbrücken einen Regress ausgeschlossen (obiter dictum LG Saarbrücken, Urt. v. 15.09.2020 - 7HK O 6/16 - NZKart 2021, 64, Rn. 122 f.). Ein Regress verstoße gegen den effet utile der Art. 101, 105 AEUV, da er die Abschreckungswirkung der Geldbuße mindere und damit die öffentlich-rechtliche Kartellverfolgung durch die EU-Kommission beeinträchtige.
Das LG Dortmund ist der vom OLG Düsseldorf vertretenen Rechtsauffassung hingegen kürzlich ausdrücklich entgegengetreten (LG Dortmund, Beschl. v. 21.06.2023 - 8 O 5/22 (Kart); seine Rechtsauffassung vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG Düsseldorf vertiefend: LG Dortmund, Beschl. v. 14.08.2023 - 8 O 5/22 (Kart)). Im Einklang mit dem wohl überwiegenden Schrifttum (zum Meinungsstand: Fleischer in: BeckOGK AktG, Stand: 01.07.2023, § 93 Rn. 258) bejaht es den Binnenregress einer Kartellgeldbuße. Es geht, anders als das OLG Düsseldorf, davon aus, dass das Zivil- und Ordnungswidrigkeitenrecht eigenständig nebeneinanderstehen, ohne dass Letzteres Ersteres beschränken könne. Soweit der BGH für die Beraterhaftung einen Rückgriff bejahe, müsse dies erst recht für den gesellschaftsrechtlichen Binnenregress gelten. Anders als bei der Verletzung vertraglicher Pflichten durch Berater, könne die Gesellschaft nur durch ihr Organ und damit nicht abweichend von dessen Entscheidungen handeln. Das LG Dortmund verweist daneben auf die mit dem Regress verbundene Präventionswirkung; ein Ausschluss des Regresses könne die Risikobereitschaft von Organen fördern, sich kartellrechtswidrig zu verhalten. Das LG Dortmund widerspricht auch dem Argument der Differenzierung der Geldbuße zwischen juristischen und natürlichen Personen. Diese betreffe allein ordnungswidrigkeitenrechtliche Erwägungen. Zudem könne es nicht darauf ankommen, ob ein Bußgeld nach nationalem oder europäischem Recht verhängt worden sei. So sei erst recht bei europäischen Kartellgeldbußen ein Regress zwingend und aus Präventionsgesichtspunkten geboten. Das LG Dortmund lehnt auch eine Verletzung des effet utile der Art. 101, 105 AEUV ab.
Die teleologische Reduktion von § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG kann nach Ansicht des LG Dortmund daneben nicht auf den Sinn und Zweck der Verbandsgeldbuße gestützt werden. Die insoweit vom OLG Düsseldorf vertretene Rechtsauffassung entspreche nicht dem Wesen der Verbandsgeldbuße. Soweit das OLG Düsseldorf darauf abstelle, dass es sich bei der Verbandsgeldbuße um eine Sanktionsregelung handle, die auf den Fall der „Verantwortlichkeit mehrerer“ zugeschnitten sei, verkenne es, dass § 30 OWiG nach seinem Zweck von vornherein nicht an die Verantwortlichkeit des Unternehmens anknüpfe, sondern einen Ausgleich für die aus der Tat gezogenen Vorteile schaffen solle. Der Präventionszweck sei nicht primär auf das Unternehmen, sondern auf die Gesellschafter und Leitungspersonen gerichtet. Diese hätten es auch in der Hand, etwa durch einen Kronzeugenantrag einen Erlass oder eine Reduzierung der Geldbuße zu erreichen. Soweit das OLG Düsseldorf aufgrund des Bestehens einer D&O-Versicherung ein faktisches Leerlaufen der Verbandsgeldbuße befürchtet, führt das LG Dortmund aus, dass sich Kartellbußen regelmäßig im dreistelligen Millionenbereich bewegten und derartige Schäden regelmäßig gerade nicht versicherbar seien. Zudem entfalle regelmäßig der Versicherungsschutz aufgrund des Vorliegens einer Vorsatztat.
Aus Unternehmenssicht ist die Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht zu begrüßen und vermag nicht zu überzeugen. Zentraler Dreh- und Angelpunkt des Streits um den Regress von Verbandsgeldbußen ist, wie an den gegensätzlichen Standpunkten der Gerichte deutlich wird, das Verhältnis zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und zivilrechtlicher Haftung. Obwohl sich die vorliegende Streitfrage dem Grunde nach auch für den Binnenregress von außerhalb des Kartellrechts verhängter Verbandsgeldbußen nach § 30 OWiG stellt, liegen gerichtliche Entscheidungen zur Organhaftung für Verbandsgeldbußen bislang nur in Bezug auf Kartellgeldbußen vor.
Gegen ein Unterlaufen ihrer Sanktionswirkung durch einen Regress ließe sich anführen, dass mit der Festsetzung der Geldbuße die durch das Ordnungswidrigkeitenrecht bestimmte Sanktion ihren Abschluss findet (Zimmermann, WM 2008, 433, 437) und das Ordnungswidrigkeitenrecht vom Zivilrecht zu trennen ist. Die Rechtsprechung des BGH zur Beraterhaftung lässt eine Tendenz für eine solche Trennung erkennen. So betont der BGH, dass der Täter der Ordnungswidrigkeit zwar die Geldbuße nach ihrem Sinn und Zweck aus seinem eigenen Vermögen aufbringen muss, dies aber für sich allein einen zivilrechtlichen Rückgriff nicht ausschließe (BGH, Urt. v. 15.04.2010 - IX ZR 189/09 Rn. 12). Maßgeblich sei insoweit der Inhalt der verletzten Pflicht. Soweit diese darauf ausgerichtet sei, den Täter vor der Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit durch Warnung zu schützen, sei ein Regress zuzulassen (BGH, Urt. v. 31.01.1957 - II ZR 41/56 Rn. 11).
Soweit das OLG Düsseldorf auf die mangelnde Vergleichbarkeit aufgrund der Zahl der Sanktionsadressaten verweist, mag dies zutreffen, zeigt aber zugleich auf, dass die Ablehnung des Binnenregresses zu einem wertungswidersprüchlichen Ergebnis führt. Danach würden Organe für „niedrigschwellige“ Pflichtverletzungen rein zivilrechtlicher Natur in jedem Fall, bei schwerwiegenden und deshalb zugleich bußgeldbewehrten Pflichtverletzungen nicht haften (Kapp/Hummel, ZWeR 2011, 349, 359). Dem OLG Düsseldorf kann indes nicht unterstellt werden, ein falsches Verständnis vom Wesen der Verbandsgeldbuße zugrunde gelegt zu haben. Der Verweis auf die „Verantwortlichkeit mehrerer“ zielt auf die Abgrenzung zu Fällen der Beraterhaftung. Es legt zutreffend zugrunde, dass die Geldbuße den Zweck verfolgt, dem Unternehmen die Vorteile des Kartellverstoßes zu entziehen. Insoweit überzeugt aber der Verweis auf das faktische Leerlaufen der Sanktionswirkung aufgrund einer D&O-Versicherung nicht, da ein Eingreifen des Versicherungsschutzes eher die Ausnahme sein wird (vgl. Suchy, NZG 2015, 591, 592). Zugleich, wie auch das OLG Düsseldorf anerkennt, kann ein Regress Leitungsorgane gerade zur Vermeidung von Kartellverstößen anhalten.
Im Übrigen ist unstreitig, dass die Voraussetzungen von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG bei wortlautgetreuer Auslegung grundsätzlich vorliegen und daher andere, mit der Geldbuße im Zusammenhang stehende Schadenspositionen, insbesondere Kartellschadensersatzforderungen, dem Grunde nach ersatzfähig sind. Der Ausschluss des Ersatzes der Aufklärungs- und Verteidigungskosten überzeugt insoweit nicht. Kosten zur Rechtsverteidigung und Aufklärung gehören zu dem nach den §§ 43 Abs. 2, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, §§ 249 ff. BGB ersatzfähigen Schäden. Sie entstehen unabhängig davon, ob das Bundeskartellamt im Ergebnis ein Bußgeld festsetzt oder nicht. Sie sind daher von der Sanktion als solcher losgelöst, so dass ihr Regress die Sanktionswirkung der Geldbuße nicht unterlaufen kann (von Schreitter/Lauer, DB 2023, 2035, 2041). Dies gilt insbesondere auch für die Kosten der unternehmensinternen Untersuchung (grundsätzlich zu deren Ersatzfähigkeit: LG München I, Urt. v. 10.12.2013 - 5 HKO 1387/10 Rn. 110 „Siemens/Neubürger“). So dient eine interne Untersuchung auch der Abwendung weiterer Schäden von der Gesellschaft, da sie Reputationsverluste reduzieren und Lücken im Compliance-Management-System schließen kann (Lüneborg/Resch, NZG 2018, 209, 213). Mit Blick auf die Höhe der Verteidigungskosten gibt das LG Dortmund zu erkennen, dass auch Honorare, die über den Gebührensätzen des RVG liegen, ersatzfähig seien.
Bei Pflichtverletzungen von Leitungspersonen/Organen ist der Aufsichtsrat einer AG zudem dazu verpflichtet, Regressforderungen zu prüfen und, soweit keine gewichtigen Belange der Gesellschaft entgegenstehen, zu verfolgen (BGH, Urt. v. 21.04.1997 - II ZR 175/95 - NJW 1997, 1926, 1927 f. „ARAG/Garmenbeck“). Für die Geltendmachung von Regressansprüchen der GmbH durch die Gesellschafterversammlung ist zu beachten, dass die Grundsätze der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung zwar nicht übertragbar sind (Reichert/Ullrich in: Prinz/Winkeljohann, Beck'sches Handbuch der GmbH, 6. Aufl. 2021, § 20 Rn. 42). Sie ist aber durch ihre Treuepflicht gebunden und zum Beispiel bei Existenzgefährdung der Gesellschaft und durchsetzbarem Ersatzanspruch gegenüber dem solventen Geschäftsführer grundsätzlich zur Anspruchsverfolgung verpflichtet (Allmendinger/Lüneborg, ZIP 2017, 1842, 1846).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf mehrt die Zahl gerichtlicher Entscheidungen, die die Regressfähigkeit von Kartellgeldbußen verneinen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich der BGH positionieren wird. Das OLG Düsseldorf hat die Revision zugelassen. Zugleich beabsichtigt das LG Dortmund, bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten auszusetzen, bis der BGH eine Entscheidung getroffen hat.
Sollte der BGH einen Binnenregress bejahen, bleibt abzuwarten, ob er den Anspruch der Höhe nach begrenzt. Innerhalb des, den Regress bejahenden, Schrifttums besteht grundsätzlich Einigkeit, dass allein der Ahndungsanteil der Geldbuße ersatzfähig ist (so u.a. Fleischer in: BeckOGK AktG, Stand: 01.07.2023, § 93 Rn. 264). Sollte der BGH demgegenüber die Regressfähigkeit verneinen, wird sich zeigen, wie sich dies auf Ersatzansprüche für außerhalb des nationalen Rechts festgesetzte Geldbußen auswirkt. So begründet das OLG Düsseldorf seine Entscheidung maßgeblich mit den Spezifika des nationalen Kartellrechts. Demgegenüber könnte der Regress von EU-Kartellgeldbußen oder Geldbußen unter dem Digital Markets Act, die keine Anknüpfungstat natürlicher Personen fordern, eine andere Bewertung erfordern (Verse in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 Rn. 313). Offen ist insoweit auch, ob ein Regress den effet utile der Art. 101, 105 AEUV verletzt.
Von hoher Praxisrelevanz ist daneben die Frage, wie sich ein Binnenregress auf Kronzeugenanträge von Gesellschaftsorganen auswirkt. Das OLG Düsseldorf greift diesen Gesichtspunkt nicht auf. Im Schrifttum wird die Befürchtung geäußert, dass die Kooperationsbereitschaft von Leitungsorganen schwinden könnte, wenn sie damit rechnen müssen, Regressforderungen ausgesetzt zu sein. Dies erscheint jedoch nicht zwingend. Soweit das LG Dortmund darauf verweist, dass das Organ es mit einem Kronzeugenantrag gerade in der Hand habe, eine Ermäßigung oder einen Erlass des Bußgelds zu erreichen, ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Regress auch eine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten und das Organ zur Stellung eines Kronzeugenantrags anhalten kann (so auch Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219, 1228).
Mit einer gesetzgeberischen Klärung ist wohl in nächster Zeit nicht zu rechnen. Selbst wenn es zu einer Neuauflage des Verbandssanktionengesetzes kommen sollte – wie von der Justizministerkonferenz im Mai 2023 gefordert (94. JuMiKo, 25./26.05.2023, TOP II.16) – ist nicht absehbar, ob eine entsprechende Regelung getroffen wird. Der bereits gescheiterte Entwurf regelte den Binnenregress nicht. Anders könnte sich die Rechtslage im IT-Sicherheitsrecht gestalten: Der RefE für das Umsetzungsgesetz zur NIS-2-Richtlinie sieht in § 38 Abs. 2 Satz 1 einen Binnenregress vor (RefE NIS2UmsuCG, Bearbeitungsstand: 03.07.2023, S. 118).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das OLG Düsseldorf befasst sich auch mit dem Verjährungsbeginn des Anspruches nach § 43 Abs. 2 GmbHG bei schädigendem Dauerverhalten eines Geschäftsführers. Die kartellrechtswidrigen Absprachen fanden zwischen 2002 und 2015 während einer Vielzahl von Treffen statt. Unter Verweis auf die bußgeldrechtliche Rechtsprechung des BGH, die Einzelabsprachen, die eine kartellrechtswidrige Grundabsprache konkretisieren, zu einer Bewertungseinheit verbindet (BGH, Beschl. v. 26.02.2013 - KRB 20/12 Rn. 23) – was wiederum Eingang in das Zivilrecht gefunden hat (BGH, Urt. v. 29.11.2022 - KZR 42/20 Rn. 90) –, geht das OLG Düsseldorf davon aus, dass die Verjährung erst mit dem letzten Treffen, in dem es zu Absprachen gekommen war, beginnt. Die Frage, wann bei einem Dauerverhalten eine Bewertungseinheit vorliegt, ist dabei auch außerhalb des Kartellrechts relevant. Sie wird regelmäßig für eine Vielzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmenskontext virulent (vgl. etwa die Beispiele bei Grube in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl. 2021, Kap. 18 Rn. 18.96). Die Zusammenfassung mehrerer, sich über einen langen Zeitraum erstreckender Handlungen zu einer Bewertungseinheit kann insoweit insbesondere zu einer – aus Sicht der Verfolgungsbehörden günstigen – Verschiebung des Beginns der Verfolgungsverjährungsfrist nach § 78a Satz 1 StGB bzw. § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG führen (hierzu: Gertler in: BeckOK OWiG, Stand: 01.07.2023, § 31 Rn. 20 f.).



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