Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Erblasser hinterließ seine Ehefrau sowie eine Tochter. Die Tochter verklagte die Ehefrau mit dem Antrag, sie für erbunwürdig zu erklären. Die Ehefrau habe das gemeinschaftliche Testament, in welchem sie als Alleinerbin eingesetzt war, vermutlich erst nach dem Tod des Erblassers aus einer Blankounterschrift von ihm hergestellt.
Das Landgericht gab der Klage durch Versäumnisurteil statt, welches rechtskräftig wurde.
Daraufhin beantragte die Tochter beim Nachlassgericht einen sie als Alleinerbin ausweisenden Erbschein. Die Ehefrau wandte sich gegen den Antrag und erklärte, sie sei wegen des plötzlichen Unfalltods des Erblassers stark traumatisiert gewesen und habe wegen eines seelischen Zusammenbruchs nicht auf die Erbunwürdigkeitsklage reagieren können.
Das Amtsgericht beschloss, die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt zu erachten. Das Oberlandesgericht wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Ehefrau zurück, ließ jedoch die Rechtsbeschwerde zum BGH zu.
Der BGH hat die daraufhin eingelegte Rechtsbeschwerde der Ehefrau zurückgewiesen.
Die Tochter sei gesetzliche Alleinerbin geworden. Die Ehefrau scheide aufgrund ihrer durch das rechtskräftige Versäumnisurteil erklärten Erbunwürdigkeit aus.
Das Nachlassgericht sei daran im Erbscheinsverfahren gebunden. Das Urteil entfalte wegen § 2344 Abs. 1 BGB, wonach der Anfall an den für erbunwürdig erklärten Erben als nicht erfolgt gelte, Wirkung gegenüber jedermann.
Dies gelte auch dann, wenn das Urteil als Versäumnisurteil ergangen sei. Der erbunwürdige Erbe dürfe nicht in der Hand haben, durch Säumnis im Rechtsstreit zu verhindern, dass die Entscheidung im Erbscheinsverfahren berücksichtigt werde.
Es könne offenbleiben, ob im Erbunwürdigkeitsprozess eine Entscheidung durch Versäumnisurteil zulässig sei. Jedenfalls sei eine solche Vorgehensweise nicht derart fehlerhaft, dass sie zur Nichtigkeit des Urteils führe. Denn auch in Verfahren nach dem Untersuchungsgrundsatz kenne das Gesetz die Säumnisentscheidung (§ 130 FamFG).
Auch liegen die Voraussetzungen einer Rechtskraftdurchbrechung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht vor.
Kontext der Entscheidung
1. Das Nachlassgericht ist nicht berechtigt, materiell zu prüfen, ob in der Person eines Erben ein Erbunwürdigkeitsgrund (§ 2339 BGB) vorliegt. Die Prüfung ist dem zuständigen ordentlichen Gericht vorbehalten. Dies folgt daraus, dass die Erbunwürdigkeit nur durch Anfechtung des Erbschaftserwerbs geltend gemacht werden kann (§ 2340 Abs. 1 BGB), welche nur durch eine Anfechtungsklage vor dem ordentlichen Gericht möglich ist (§ 2342 Abs. 1 BGB).
2. Die Anfechtungsklage ist zulässig, wenn sie von einer anfechtungsberechtigten Person (§ 2341 BGB) fristgemäß (§§ 2340 Abs. 3, 2082 BGB) vor dem zuständigen ordentlichen Gericht gegen den Erben, dessen Erbschaftserwerb angefochten werden soll, mit dem Antrag erhoben ist, diesen Erben für erbunwürdig zu erklären (§ 2342 Abs. 1 BGB). Sie ist begründet, wenn das Gericht feststellen kann, dass der Beklagte eine der in § 2339 BGB als Erbunwürdigkeitsgründe katalogisierten Handlungen gegen die Testierfreiheit des Erblassers vorgenommen hat.
3. Erst mit der Rechtskraft des der Anfechtungsklage stattgebenden Urteils (§ 2342 Abs. 2 BGB) gilt die Erbschaft als dem Beklagten nicht angefallen (§ 2344 Abs. 1 BGB) und fällt demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Beklagte zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte (§ 2344 Abs. 2 BGB).
Diese Rechtskraft wirkt gegenüber jedermann (inter omnes). Das ist eine Besonderheit, denn grundsätzlich beschränkt sich die Rechtskraftwirkung eines im Zivilprozess ergangenen Urteils auf die Parteien (inter partes, § 325 ZPO).
Das Aktienrecht kennt die Wirkung über die Parteien des Rechtsstreits hinaus für und gegen alle Aktionäre, Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder (§ 248 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Drittwirkung des Erbunwürdigkeitsurteils nach § 2344 BGB geht darüber hinaus: Auf sie können sich neben den Erben sämtliche Nächstberufenen stützen (vgl. § 2341 BGB), zudem Nachlassgläubiger, Nachlassschuldner und alle, die sonst in einem den Nachlass betreffenden Rechtsverhältnis stehen oder ein solches begründen möchten.
Die Abweisung der Erbunwürdigkeitsklage wirkt hingegen nur zwischen den Parteien (§ 325 Abs. 1 ZPO).
4. Formell ist die Erbunwürdigkeitserklärung nur durch Anfechtungsklage und Prozessurteil möglich (§§ 2340, 2342, 2344 BGB). Daher kann sie weder durch einen Vergleich noch durch ein außergerichtliches Anerkenntnis ersetzt werden (Muscheler, ZEV 2009, 101, 105).
Materiell können die Parteien über die Frage, ob Erbunwürdigkeit vorliegt, rechtlich nicht disponieren. Allerdings hat ein Erbe es in der Hand, erbunwürdig zu werden, indem er ein Testament des Erblassers fälscht (§ 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB i.V.m. § 267 Abs. 1 StGB).
5. Die Drittwirkung des Erbunwürdigkeitsurteils steht in einem Spannungsverhältnis zu den Dispositions- und Verhandlungsgrundsätzen des Zivilprozesses. Deshalb wird darüber gestritten, ob die Dispositions- und Verhandlungsgrundsätze im Erbunwürdigkeitsprozess eingeschränkt sind (vgl. dazu die Nachweise in der besprochenen Entscheidung BGH, Beschl. v. 26.04.2023 - IV ZB 11/22 Rn. 16).
a) Dafür wird vorgebracht, dass die Parteien über die Frage, ob Erbunwürdigkeit vorliegt, rechtlich nicht disponieren könnte, und dass die Nachlassgläubiger davor zu schützen seien, dass sich Erben willkürlich ihrer Haftung entziehen. Ein solche Sich-Entziehen wird befürchtet, wenn durch Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO) oder durch Versäumnisurteil (§ 331 ZPO) entschieden wird. Denn dann hätte es der beklagte Erbe in der Hand, durch Anerkenntnis bzw. Säumnis die entsprechende Entscheidung ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 2339 BGB herbeizuführen.
b) Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber die Entscheidung über die Erbunwürdigkeit (weiterhin) dem Zivilprozess zugewiesen hat und nicht einem Nachlassverfahren nach dem FamFG. Als noch Familiensachen in der ZPO geregelt waren, waren für diese die Dispositions- und Verhandlungsgrundsätze eingeschränkt (§§ 612, 617, 632, 640 ZPO in der bis zum 31.08.2009 geltenden a.F.), nicht jedoch für die Erbunwürdigkeitsklage. Bei Einführung des FamFG durch das FGG-Reformgesetz (BGBl I 2008, 2586) beließ der Gesetzgeber es dabei. Im Gegensatz dazu ist eine testamentarische Erbeinsetzung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht anzufechten (§ 2081 Abs. 1 BGB).
Die Interessen, alsbald Klarheit darüber zu bekommen, wer Erbe ist und den zunächst angenommenen Erbenbestand unverändert zu lassen, sind im BGB schwach durchgesetzt. Es gibt kein Recht von Nachlassgläubigern oder Miterben, dass eine bestimmte Person Erbe wird oder bleibt. Im Gegenteil sieht § 1942 Abs. 1 BGB das Recht eines jeden Erben vor, die Erbschaft auszuschlagen, und zwar kenntnisabhängig ohne eine zeitlich absolute Höchstfrist (§ 1944 BGB). Die Annahme der Erbschaft gilt als nicht erfolgt, wenn der Erbe über den Berufungsgrund irrte (§ 1949 Abs. 1 BGB). Zudem können die Annahme der Erbschaft (§§ 1954 f. BGB) und die Versäumung der Ausschlagungsfrist (§ 1956 BGB) angefochten werden. Für diese Anfechtungen gilt eine Höchstfrist von 30 Jahren (§ 1954 Abs. 4 BGB). Auch für die Anfechtung einer testamentarischen Erbeinsetzung gilt eine Höchstfrist von 30 Jahren (§ 2082 Abs. 3 BGB), ebenso für die Erbunwürdigkeitsklage (§§ 2340 Abs. 3, 2082 Abs. 3 BGB).
Davon abgesehen kann der Nachlassgläubiger nicht mit der Tiefe der Taschen eines bestimmten Erben kalkulieren. Der Erbe haftet zwar im Ausgangspunkt unbeschränkt (§ 1967 Abs. 1 BGB). Er kann jedoch seine Haftung auf den Nachlassbestand beschränken (§§ 1973, 1974, 1975, 1989, 1990, 1992, 2059 BGB).
Der für erbunwürdig Erklärte haftet den Erben als Erbschaftsbesitzer nach den §§ 2018 ff. BGB. Diese nachlasszugehörigen Ansprüche kann ein Nachlassgläubiger pfänden und sich überweisen lassen (§§ 828 ff. ZPO). Soweit der für erbunwürdig Erklärte deliktisch gehandelt hat, kommt zudem eine Haftung nach § 823 BGB in Betracht, und zwar auch direkt gegenüber den Nachlassgläubigern.
6. Von der Frage, ob durch Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil entschieden werden darf, ist die Frage zu unterscheiden, ob ein einmal ergangenes Urteil wirksam ist. Grundsätzlich sind auch Fehlurteile der Rechtskraft fähig. Nur „in extremen Ausnahmefällen bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Mangels“ kommt in Betracht, das Urteil als unwirksam anzusehen, bejaht etwa bei der Entscheidung über einen nicht anhängigen Streitgegenstand, bei einem in sich widersprüchlichen oder unbestimmten Tenor, bei Entscheidungen gegen eine nichtexistente Partei oder bei Tenorierung einer dem Recht unbekannten Rechtsfolge (BGH, Urt. v. 04.04.2014 - V ZR 110/13 Rn. 7).
7. Die Drittwirkung des Erbunwürdigkeitsurteils steht in einem Spannungsverhältnis zu der fehlenden Publizität der Erbunwürdigkeitsklage und des Urteils (vgl. dagegen z.B. § 246 Abs. 4 Satz 1 AktG zur Anfechtungsklage im Aktienrecht; § 607 ZPO zur Musterfeststellungsklage; §§ 77, 82 Abs. 2, 83 Abs. 2, 88 BVerfGG zu Entscheidungen des BVerfG mit Gesetzeskraft; §§ 47 Abs. 2 Sätze 3 f., 65 VwGO zum Normenkontrollverfahren beim OVG).
Jedenfalls wenn man vertritt, dass durch die Drittwirkung des Erbunwürdigkeitsurteils Rechte Dritter, wie z.B. von Nachlassgläubigern berührt werden, ist die fehlende Publizität ihnen gegenüber im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG bedenklich. Ob dem Anspruch auf rechtliches Gehör allein durch die Öffentlichkeit der Verhandlung und der Entscheidungsverkündung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG) und der (theoretischen) Möglichkeit einer Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) Rechnung getragen werden kann, erscheint zweifelhaft.