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Anmerkung zu:AG Neumünster, Beschluss vom 10.03.2023 - 92 IN 65/22
Autor:Dr. Friedrich L. Cranshaw, RA
Erscheinungsdatum:29.11.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 4 InsO, § 270b InsO, § 270c InsO, § 270e InsO, § 21 InsO, § 129 InsO, § 141 InsO, § 88 InsO, § 165 SGB 3, § 169 SGB 3, § 170 SGB 3, § 358 SGB 3, § 270d InsO, 12016E107, 12016E109, EWGRL 987/80, EGRL 94/2008
Fundstelle:jurisPR-InsR 17/2023 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Cranshaw, jurisPR-InsR 17/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Fortsetzung des vorläufigen Insolvenzverfahrens nach Ablauf der Frist des § 270d InsO (ab 01.01.2021) ohne Planvorlage



Leitsätze

1. Eine Verlängerung der Frist für die Vorlage eines Insolvenzplans im Schutzschirmverfahren des § 270d InsO kommt über den in § 270d Abs. 1 Satz 2 festgelegten Drei-Monats-Zeitraum nicht in Betracht.
2. Wird innerhalb der Planvorlagefrist kein Insolvenzplan eingereicht, endet das Schutzschirmverfahren nicht ohne entsprechende Aufhebung durch das Insolvenzgericht.
3. Die in § 270d Abs. 4 Satz 2 InsO vorgesehene Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat nicht unmittelbar nach Ablauf der Planvorlagefrist zu ergehen, wenn die Eröffnungsvoraussetzungen noch nicht zweifelsfrei feststehen oder ein Zuwarten mit der Verfahrenseröffnung aus besonderen Gründen geboten erscheint.
4. Das Gericht hat, wenn die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht bereits unmittelbar nach Ablauf der Planvorlagefrist ergeht, über den weiteren Fortgang des Insolvenzeröffnungsverfahrens zu entscheiden; hierbei kommt die Aufhebung einzelner Bestandteile des sog. Schutzschirms, insbesondere der zuvor gemäß § 270d Abs. 3 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO angeordneten Untersagung bzw. einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung, in Betracht.



A.
Problemstellung
Das AG Neumünster hat sich in einem „vorläufigen“ Insolvenzverfahren unter dem „Schutzschirm“ des § 270d InsO (ab 01.01.2021, bis dahin § 270b InsO seit dem ESUG 2011) mit den Fragen befasst, ob die Drei-Monats-Frist der Norm zur Vorlage eines Insolvenzplans verlängert werden kann bzw. wie das vorläufige Insolvenzverfahren nach Fristablauf ohne Vorlage eines Plans fortzusetzen ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Eine wohl aus landes- bzw. regionalpolitischer Sicht auf Kreisebene wichtige Gesellschaft (vgl. Rn. 8 der Entscheidung) hat einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter vorläufiger Eigenverwaltung und unter Schutzschirm (§ 270d InsO n.F. ab 01.01.2021) gestellt. Das AG Neumünster hat am 09.12.2022 das Schutzschirmverfahren angeordnet und der Schuldnerin Frist zur Einreichung eines Insolvenzplans bis zum 09.03.2023 gewährt. Das Insolvenzgericht hatte ferner Anordnungen gemäß § 270c Abs. 3 InsO i.V.m. § 21 Abs. 1, 2 InsO getroffen, u.a. auf Antrag der Schuldnerin eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO (Untersagung bzw. einstweilige Einstellung der Vollstreckung gegen die Schuldnerin in deren bewegliches Vermögen). Einen Plan hat die Schuldnerin innerhalb der Frist nicht eingereicht, aber mit „verständlicher und nachvollziehbarer Begründung“ unter dem 23.02.2023 um Fristverlängerung gebeten.
II. Das AG Neumünster/Insolvenzgericht hat die Fristverlängerung abgelehnt, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aufgehoben, die weiteren Anordnungen aufrechterhalten (und sich die spätere Entscheidung im vorläufigen Insolvenzverfahren abhängig von dessen Fortgang vorbehalten). Ebenso hat das Gericht die Bestellung des vorläufigen Sachwalters ohne Änderung der Person aufrechterhalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
1. Die Fristverlängerung der Frist für die Einreichung des Insolvenzplans sei nicht möglich, da es sich dabei um eine gesetzliche Frist handle, deren Verlängerung als Folge der Verweisung des § 4 Satz 1 InsO auf die ZPO und damit auf § 224 Abs. 2 ZPO daran scheitert, dass § 270d InsO eine Fristverlängerung nicht konkret vorsehe. Dies entspreche auch überwiegender Literaturmeinung. Auch der Gesetzgeber habe diese Verlängerung nicht in Erwägung gezogen, vielmehr habe er gewollt, dass das Gericht nach Fristablauf nach den allgemeinen Vorschriften entscheide.
2. Nicht geregelt sei zudem, wann (in Fällen wie hier) über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden sei. Dieser Zeitpunkt sei dann gekommen, wenn die Eröffnungsvoraussetzungen „zweifelsfrei“ feststünden, was hier nicht der Fall sei, denn weder liege das vom Gericht beauftragte Sachverständigengutachten über das Bestehen eines Eröffnungsgrundes noch zur Verfahrenskostendeckung vor. In dem Fall hier schließe sich das Gericht zudem der freilich umstrittenen Meinung an, nicht sofort (nach Ablauf der Frist des § 270d InsO) entscheiden zu müssen, sondern bis zum Ablauf des Insolvenzgeldzeitraums zuwarten zu können. Der Rechtsausschuss habe im Gesetzgebungsverfahren der Insolvenzordnung (BT-Drs. 12/7302 v. 19.04.1994, S. 158, Begründung zu § 26 Abs. 1 InsO-RegE „Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters“) festgestellt, das Insolvenzeröffnungsverfahren sei auch dazu bestimmt, Sanierungen vorzubereiten (d.h. Sanierungsoptionen auszuloten). Der Richter könne daher im Rahmen seines Ermessens wirtschaftlich berücksichtigen, dass durch eine verfrühte Eröffnung des Verfahrens der Insolvenzgeldzeitraum reduziert und damit die Befriedigung der Gläubiger verkürzt werde.
3. Da das Insolvenzverfahren zunächst nicht eröffnet werde, müsse über das weitere Procedere entschieden werden, wenn der Zeitraum des § 270d Abs. 1 Satz 2 InsO (höchstens drei Monate) abgelaufen sei.
a) Daher habe das Gericht die Anordnung der Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO aufgehoben. Die Maßnahme habe zwar auf Antrag der Schuldnerin zunächst angeordnet werden müssen (§ 270d Abs. 3 InsO), es sei aber nicht erkennbar, dass sie aktuell noch nötig sei. Die Aufrechterhaltung sei daher nicht verhältnismäßig.
b) Die weiteren Maßnahmen (die in dem Beschluss nicht gesondert genannt werden) seien aufrechtzuerhalten, dies auf der Grundlage der §§ 270b, 270c InsO, die ohnehin unabhängig vom Schutzschirmverfahren (als „Unterform“ der Eigenverwaltung) seien.
c) Ein vorläufiger Insolvenzverwalter sei nicht zu bestellen gewesen. Die fehlende Vorlage eines Insolvenzplans innerhalb der Frist sei kein Grund für die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung i.S.d. § 270e InsO; die Erreichung des Eigenverwaltungsziels nach § 270e Abs. 1 Nr. 3 InsO sei auch nicht aussichtlos geworden. Der Plan sei deshalb noch nicht aufgestellt, weil das „Bieterverfahren“ (weitere Einzelheiten dazu enthält der Beschluss nicht) noch nicht „im Sinne einer optimalen Gläubigerbefriedigung“ abgeschlossen sei und die (notwendigen) Entscheidungen auf der Ebene von Bundesland und Kreis noch nicht gefallen seien.
d) Bezüglich der Person des vorläufigen Sachwalters sei zwar die Bindungswirkung an den Schuldnervorschlag nach § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO mit dem ergebnislosen Ablauf der Frist für den Insolvenzplan entfallen, gleichwohl gebe es keinen Grund, die Person des Sachwalters auszutauschen.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Der Entscheidung des AG Neumünster ist im Ergebnis zuzustimmen. Wenn nach vergeblichem Fristablauf der Frist des § 270d InsO (maximal drei Monate) kein Insolvenzplan eingereicht wurde und die Gründe für die Nichtvorlage plausibel und sachgerecht sind, steht nichts entgegen, das Verfahren weiter fortzusetzen und über die Eröffnung zu entscheiden, wenn dem Gericht alle hierfür erforderlichen Daten, u.a. zum Eröffnungsgrund und zur Kostendeckung, vorliegen. Vielfach dürfte aber in den Fällen der Nichtvorlage eines Plans innerhalb der Frist die Erreichung des Sanierungsziels aussichtslos geworden sein.
Vorliegend fehlt es u.a. noch an Entscheidungen des Landes Schleswig-Holstein bzw. des Kreises, ggf. soll das Unternehmen staatliche Beihilfen erhalten (die zuvor möglicherweise von der EU-Kommission zu genehmigen sind, wodurch Insolvenzplan und Insolvenzeröffnung weiter hinausgeschoben würden).
II. Hat das Gericht bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters, ungeachtet des Vorschlagsrechts des Schuldners und der weitgehenden Bindung des Gerichts daran, die Überzeugung, die ausgewählte Person sei gerade der richtige Sachwalter für die konkrete Aufgabe, steht nichts im Wege, die Bestellung aufrechtzuerhalten.
III. Etwas problematischer erscheint die Aufhebung des Vollstreckungsverbots in das bewegliche Vermögen der Schuldnerin nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO. Die mittlerweile fehlende Verhältnismäßigkeit der Anordnung ist nicht weiter ausgeführt, der Wegfall der Verhältnismäßigkeit seit der Anordnung des „Vollstreckungsverbots“ kann aber nach der hier vertretenen Meinung nur ausnahmsweise bejaht werden. Hinzu kommt, dass mangels Publikation der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter dem „Schutzschirm“ Gläubiger von dem Insolvenzantrag oder dem Insolvenzgrund keine Kenntnis haben müssen und daher auch die Anfechtung nach Maßgabe der §§ 129 ff., 141 InsO im Einzelfall scheitern kann. Dauert die Eröffnungsphase länger, so mag auch die Rückschlagsperre nach § 88 InsO versagen. Damit verbunden sind Risiken der Verminderung des Schuldnervermögens.
IV. 1. Nicht sehr überzeugend, wenn auch wirtschaftlich zutreffend und wohl der überwiegenden Meinung entsprechend, ist der Hinweis des Gerichts, mit der Eröffnungsentscheidung zuwarten zu können bis zum Ablauf des Insolvenzgeldzeitraums (vgl. die §§ 165 ff. SGB III, drei Monate vor dem Insolvenzereignis i.S.d. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 SGB III), da andernfalls die Gläubigerbefriedigung verkürzt werde. Vertretbar wäre die Begründung dahin gewesen, die Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums (tatsächlich geht es der Praxis um die Insolvenzgeldvorfinanzierung als Sanierungsinstrument zur Einsparung der Arbeitskosten in den drei Monaten vom Insolvenzantrag bis zur Eröffnung, vgl. § 170 Abs. 1, 4 SGB III, § 169 SGB III und § 55 Abs. 3 InsO) sei deswegen sachgerecht, weil damit die Sanierungschancen des Unternehmens verbessert und Arbeitsplätze erhalten würden.
2. Jedenfalls die vom Insolvenzgericht gewählte Formulierung ist rechtsirrig, denn das Insolvenzgeld hat nicht die Funktion der Gläubigerbefriedigung oder gar deren Optimierung. Die Verbesserung der Gläubigerquote ist allein etwaiger Reflex der Insolvenzgeldvorfinanzierung (mit Genehmigung der Bundesagentur, § 170 SGB III), die mittelbar die Sanierungschancen des Unternehmens oder eines Teils davon erhöht (ggf. durch übertragende Sanierung).
Das Insolvenzgeld hat soziale Funktion für die Arbeitnehmer, unionsrechtlich determiniert durch die RL 2008/94/EG („Insolvenzsicherungsrichtlinie“). Das Insolvenzgeld soll u.a. dazu beitragen, Arbeitsplätze zu erhalten, indem die Arbeitskosten der letzten drei Monate vor Eröffnung von der Bundesagentur übernommen werden. Der Fokus liegt in der Zielsetzung, den Arbeitnehmern rückständige Löhne und Gehälter durch die nationalen Garantieeinrichtungen (in Deutschland die Bundesagentur) im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu sichern, wobei den Mitgliedstaaten eine Reihe von Optionen zur Umsetzung der Richtlinie zur Verfügung steht.
3. Die Darstellung des Insolvenzgerichts hier führt geradewegs zu der gelegentlich aufgeworfenen Frage, warum denn alle Arbeitgeber die Insolvenzgeldumlage (§§ 358 ff. SGB III) zugunsten der Gläubiger des Schuldners zahlen sollen und zu der Problematik, ob nicht das Insolvenzgeld doch verbotene Betriebsbeihilfe entgegen den Art. 107 bis 109 AEUV sei. Bisher hat die EU-Kommission diese Thematik mit dem Hinweis auf die soziale Funktion des Insolvenzgelds und die Umsetzung der europäischen Insolvenzsicherungsrichtlinie (RL 80/987/EG a.F.; RL 2008/94/EG, aktuell) verneinen können (vgl. EU-Kommission, Entscheidung v. 19.11.2009, Dokument K(2008/8707) endgültig, vgl. https://ec.europa.eu/state_aid>cases > Verlinkungen, Az.: NN 55/2009, Abruf: 14.11.2023).


D.
Auswirkungen für die Praxis
I. Die Entscheidung des AG Neumünster, eine der wenigen zu § 270d InsO und soweit ersichtlich die erste veröffentlichte zu den Folgen des Ablaufs der für die Einreichung des Insolvenzplans gesetzten Frist, zeigt auf, dass trotz Versäumung der Vorlagefrist die Fortsetzung des Verfahrens möglich ist, wenn die Fristversäumung nicht zeigt, dass das angestrebte Eigenverwaltungsziel (Planziel) nicht erreichbar bzw. aussichtslos geworden ist.
Mit der Vorgehensweise des AG Neumünster kehrt die notwendige „Ruhe“ in das Eröffnungsverfahren ein.
II. Anordnungen nach § 270d Abs. 3 InsO i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO sind bei Eintritt einer Konstellation wie hier zu überprüfen, können aber wohl regelmäßig aufrechterhalten bleiben. Ebenso besteht keine Veranlassung, ohne besonderen Grund an der Bestellung des vorläufigen Sachwalters etwas zu ändern.



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