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Anmerkung zu:BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 06.07.2023 - VII ZR 151/22
Autor:Hans Christian Schwenker, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Erscheinungsdatum:05.12.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 286 ZPO, Art 103 GG, § 13 BGB, § 312b BGB, § 312g BGB, § 356 BGB, BJNR006049896BJNE240701819, § 356e BGB, § 650i BGB, § 355 BGB, 12008E267, EURL 83/2011
Fundstelle:jurisPR-PrivBauR 12/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Bernd Siebert, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Schwenker, jurisPR-PrivBauR 12/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Widerrufsrecht gemäß § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB: Anforderungen an die gleichzeitige Anwesenheit



Leitsatz

Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen i.S.d. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB liegt nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt.



A.
Problemstellung
Der VII. Zivilsenat hatte zu klären, ob für einen Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen (§ 312b BGB) der vollständige Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume erfolgen muss oder ob es ausreicht, wenn das vom Unternehmer aus seinen Geschäftsräumen unterbreitete Angebot am Folgetag vom Besteller durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer auf der Baustelle angenommen wird.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger sind Eigentümer eines Reihenhauses, der Beklagte führt einen Dachdeckerbetrieb. Sie beauftragten den Beklagten im Sommer 2018 mit der Erneuerung von Dachrinnen und Abdichtungsarbeiten im Eingangsbereich ihres Reihenhauses. Während der Ausführung der Arbeiten am 22. und 23.08.2018 bemerkte ein Mitarbeiter des Beklagten, dass der Wandanschluss des Daches defekt war, und teilte dies dem Kläger mit. Nachdem der Beklagte dem Kläger die ungefähre Größenordnung der für diese Arbeiten anfallenden Vergütung sowie die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mitgeteilt hatte, beauftragte der Kläger den Beklagten auch mit diesen Arbeiten („Wakaflex“), die anschließend ausgeführt wurden. Die Ausführung der Arbeiten zu einem späteren Zeitpunkt wäre mit Mehrkosten verbunden gewesen, weil dies die erneute Aufstellung eines Gerüsts erfordert hätte. Die Arbeiten wurden vom Beklagten mangelfrei erbracht. Der für beide Aufträge vom Beklagten in Rechnung gestellte Betrag, davon 1.164,38 Euro brutto für den Auftrag „Wakaflex“, wurde von den Klägern vollständig bezahlt. Mit Schreiben vom 05.09.2019, das an diesem Tag um 19:35 Uhr in den Briefkasten des Beklagten eingelegt wurde, widerriefen die Kläger beide Aufträge. Bei einem anschließenden zufälligen Treffen überreichte der Kläger dem Beklagten einen Flyer, der mit „Der Handwerker-Widerruf – Schützen Sie sich vor unseriösen Handwerkern“ überschrieben war, und erklärte, dass er daraus ein neues Geschäftsmodell entwickelt habe. Die Kläger meinen, ihnen stünde hinsichtlich des ersten Auftrags einschließlich des Zusatzauftrags „Wakaflex“ ein Widerrufsrecht wegen eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages zu. Mit der Klage haben sie den Beklagten auf Rückzahlung der für beide Aufträge entrichteten Vergütung in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Ausübung des Widerrufsrechts durch die Kläger rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Auf die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht den Beklagten zur Rückzahlung der für den Zusatzauftrag „Wakaflex“ gezahlten Vergütung i.H.v. 1.164,38 Euro verurteilt.
Die Revision des Beklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit dieses zum Nachteil des Beklagten erkannt hat. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings geprüft, ob den Klägern gemäß den §§ 355 Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1 BGB hinsichtlich des Zusatzauftrags „Wakaflex“ unabhängig von dem ersten Auftrag ein Widerrufsrecht zustand. Ist davon auszugehen, dass die Parteien hinsichtlich der Reparatur des defekten Wandanschlusses einen weiteren Vertrag geschlossen haben, kann den Klägern als Verbrauchern in Bezug hierauf ein eigenständiges Widerrufsrecht zustehen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren die mit dem Zusatzauftrag „Wakaflex“ in Auftrag gegebenen Arbeiten vom ursprünglich erteilten Auftrag an den Beklagten, der die Erneuerung von Dachrinnen und Abdichtungsarbeiten im Eingangsbereich des Hauses betraf, nicht umfasst.
Das Berufungsgericht ist jedoch aufgrund einer fehlerhaften Würdigung des Vorbringens des Beklagten unter Verstoß gegen § 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG davon ausgegangen, dass den Klägern hinsichtlich des Zusatzauftrags „Wakaflex“ ein Widerrufsrecht gemäß den §§ 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB zustand. Bei seiner Annahme, der Zusatzauftrag sei unstreitig bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien vor Ort erteilt worden, hat das Berufungsgericht das von ihm im Tatbestand als streitig dargestellte Vorbringen des Beklagten, wonach der Zusatzauftrag wie auch der Hauptauftrag abgestuft erteilt worden sei, nicht hinreichend beachtet. Der Beklagte hat hierzu unter Benennung eines Zeugen vorgetragen, dass bei Durchführung des Hauptauftrags dem ausführenden Mitarbeiter des Beklagten aufgefallen sei, dass der Wandanschluss beschädigt gewesen sei. Er habe dies dem Kläger mitgeteilt und ihn gefragt, ob diese Zusatzarbeiten miterledigt werden sollten. Nachdem der Kläger dies bejaht habe, habe der Mitarbeiter den Beklagten über den defekten Wandanschluss und den Wunsch des Klägers telefonisch unterrichtet, dass diese Arbeiten mit durchgeführt werden sollten. Der Beklagte, dem der Mitarbeiter die erforderlichen Daten mitgeteilt habe, habe dem Kläger daraufhin mitgeteilt, dass die Arbeiten durchgeführt werden könnten, diese einen Tag in Anspruch nehmen würden und zum Nachweis zuzüglich Materialkosten ausgeführt würden. Am folgenden Tag habe der Beklagte die Baustelle persönlich aufgesucht. Der Kläger habe ihm gegenüber die Annahme des Angebots erklärt. Dieser Sachvortrag ist dahin zu verstehen, dass der Beklagte behauptet hat, er habe das Angebot für den Zusatzauftrag bereits am 22.08.2018 abgegeben, der Kläger habe dieses im Namen beider Kläger jedoch erst am 23.08.2018 bei dem Termin vor Ort angenommen. Das Berufungsgericht hat demgegenüber unter Verstoß gegen § 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG einen Sachverhalt als unstreitig zugrunde gelegt, der im Widerspruch zu diesem als streitig erkannten Vortrag des Beklagten steht, ohne den vom Beklagten angebotenen Beweis zu erheben. Es hat in den Entscheidungsgründen im Widerspruch zu dem bezeichneten Vorbringen des Beklagten festgestellt, es sei unstreitig, dass der Zusatzauftrag nach Erläuterung der Kostenhöhe und des Zeitaufwands vor Ort bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit von Kläger und Beklagtem erteilt worden sei. Daraus geht hervor, dass das Berufungsgericht die Behauptung des Beklagten nicht hinreichend berücksichtigt hat, dem Kläger sei bereits am Vortag vor dem abschließenden Ortstermin am 23.08.2018 ein Angebot über die Ausführung der Zusatzarbeiten unterbreitet worden, das der Kläger im Ortstermin vom 23.08.2018 lediglich angenommen hat. Der Verfahrensfehler ist erheblich. Ist zugunsten des Beklagten davon auszugehen, dass der Kläger das vom Beklagten bereits am 22.08.2018 unterbreitete Angebot für den Zusatzauftrag „Wakaflex“ am 23.08.2018 lediglich angenommen hat, liegt kein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag vor. Nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge solche, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB genügt es, wenn der Verbraucher unter den in Nummer 1 genannten Umständen ein Angebot für den Abschluss eines Vertrags abgegeben hat. Die Kläger sind zwar gemäß § 13 BGB als Verbraucher anzusehen, weil sie als natürliche Personen das Rechtsgeschäft nicht zu Zwecken abgeschlossen haben, die überwiegend ihrer gewerblichen oder ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Der Vertrag ist vor Ort aber nicht, wie nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB erforderlich, bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien geschlossen worden. Hierfür ist erforderlich, dass sowohl das Angebot als auch die Annahme bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragspartner erklärt werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger hat nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Vorbringen des Beklagten für beide Kläger in dem Termin vor Ort in Anwesenheit des Beklagten lediglich dessen am Tag zuvor abgegebenes Angebot für die Reparatur des beschädigten Wandanschlusses angenommen.
Eine gegenüber dem Angebot des Unternehmers derart zeitlich versetzte Auftragserteilung wird von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB nicht erfasst. Diese Vorschrift, mit der die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 (Verbraucherrechterichtlinie) ins deutsche Recht umgesetzt wird und die mit der Bestimmung in Art. 2 Nr. 8a der Verbraucherrechterichtlinie inhaltlich übereinstimmt, ist richtlinienkonform im Lichte dieser Richtlinie auszulegen, wobei bei der Auslegung zu beachten ist, dass nach Art. 4 der Richtlinie eine Vollharmonisierung der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Vorschriften angestrebt wird. Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen liegt danach nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt. Für diese – schon nach dem Wortlaut naheliegende – Auslegung von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB spricht auch der mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgte Zweck. Aus dem Erwägungsgrund Nr. 21 der Richtlinie ergibt sich, dass von der Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge Situationen nicht erfasst werden sollen, in denen der Unternehmer zunächst in die Wohnung des Verbrauchers kommt, um ohne jede Verpflichtung des Verbrauchers lediglich Maße aufzunehmen oder eine Schätzung vorzunehmen, und der Vertrag danach erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Geschäftsräumen des Unternehmers auf der Grundlage der Schätzung des Unternehmers abgeschlossen wird. Dies wird damit begründet, dass der Verbraucher in einem solchen Fall Gelegenheit hatte, vor Vertragsschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken. Die dieser Situation zugrunde liegende rechtliche Wertung erfasst auch den Fall, dass der Unternehmer dem Verbraucher aufgrund eines Aufmaßes oder einer Schätzung ein Angebot unterbreitet, das der Verbraucher nach einer Überlegungszeit bei gleichzeitiger Anwesenheit mit dem Unternehmer außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt. Auch in diesem Fall entstehen dem Verbraucher durch das vom Unternehmer erstellte Angebot unmittelbar noch keine Verpflichtungen. Findet eine Vertragsverhandlung nicht sofort im Anschluss an das Angebot statt, sondern hat der Verbraucher Gelegenheit, das Angebot des Unternehmers zu prüfen und zu überdenken, ist nach dem mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgten Schutzzweck der Tatbestand des bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags nicht erfüllt. Eine typische Druck- oder Überraschungssituation i.S.v. Erwägungsgrund Nr. 21 der Verbraucherrechterichtlinie, vor der § 312b BGB schützen soll, liegt dann nicht vor. Danach stand den Klägern hinsichtlich des Zusatzauftrags „Wakaflex“ kein Widerrufsrecht gemäß den §§ 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB zu. Die Kläger sind dadurch, dass der Beklagte ihnen die Modalitäten für die Ausführung des Zusatzauftrags und die hierfür entstehenden Kosten in Form eines Angebots am 22.08.2018 mitgeteilt hatte, in die Lage versetzt worden, das Angebot bis zu dessen Annahme am 23.08.2018 zu überdenken.
Es liegt auch kein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag i.S.d. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB vor. Nach dieser Vorschrift sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge solche, für die der Verbraucher unter den in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB genannten Umständen ein Angebot abgegeben hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Kläger haben nicht lediglich gemäß § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB ein Angebot abgegeben, das der Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt angenommen hat. Die Vorschrift kann über ihren Wortlaut hinaus auch nicht dahin ausgelegt werden, dass jedwede Vertragserklärung des Verbrauchers – also auch, wie hier, eine Annahmeerklärung – erfasst werden soll, die dieser bei gleichzeitiger Anwesenheit mit dem Unternehmer an einem nicht zum Geschäftsraum des Unternehmers gehörenden Ort abgibt. Im Hinblick auf die mit der Verbraucherrechterichtlinie angestrebte Vollharmonisierung (Art. 4 der Verbraucherrechterichtlinie) kommt eine erweiternde Auslegung über den Wortlaut des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB hinaus nicht in Betracht. Der Begriff „Angebot“ in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB, der dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 8 Buchst. b der Verbraucherrechterichtlinie entspricht, findet sich entsprechend auch in anderen Sprachfassungen der Verbraucherrechterichtlinie (vgl. z.B. „offer“, „offre“, „offerta“, „oferta“, „aanbod“). Er bezieht sich auf das für den Verbraucher bindende Angebot auf Abschluss eines Vertrags. Der Begriff des Angebots kann mit dem Begriff der Vertragserklärung dagegen nicht gleichgesetzt werden. Dieser wird vielmehr als Oberbegriff sowohl für ein auf den Abschluss eines Vertrags gerichtetes Angebot als auch für eine Annahme eines solchen verwendet. Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Sinn und Zweck der Verbraucherrechterichtlinie auch die Annahme eines vom Unternehmer nicht am selben Tag, sondern bereits zuvor, unterbreiteten Angebots von der Vorschrift erfasst werden soll, bestehen nach den vorstehenden Ausführungen nicht. Insbesondere besteht in einem solchen Fall nicht die Gefahr, dass der Verbraucher durch die Umstände des Vertragsschlusses zum Abschluss des Vertrags veranlasst wird, ohne zuvor seine Entscheidung hinreichend überdenken zu können. Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 2 Nr. 8 Buchst. b der Verbraucherrechterichtlinie ist nicht geboten, weil die Auslegung des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB unter Berücksichtigung der Vorschriften der Verbraucherrechterichtlinie keinem vernünftigen Zweifel unterliegt.
Ein Widerrufsrecht der Kläger wäre nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 11 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift besteht kein Widerrufsrecht bei Verträgen, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich aufgefordert hat, ihn aufzusuchen, um dringende Reparatur- oder Instandhaltungsmaßnahmen vorzunehmen. Zwar haben die Kläger die Ausführung der Arbeiten, die Gegenstand des Zusatzauftrags waren, unstreitig ausdrücklich verlangt. Das allein rechtfertigt aber nicht die Anwendung der Ausnahmevorschrift. § 312g Abs. 2 Nr. 11 BGB bezieht sich nur auf dringende Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen. Dass hinsichtlich des defekten Wandanschlusses ein dringender Reparaturbedarf bestand, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Hierfür genügt nicht, dass die Ausführung des Zusatzauftrags im Hinblick auf das bereits stehende Gerüst wirtschaftlich sinnvoll gewesen sein mag. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass die mit dem ersten Auftrag ausgesprochene Aufforderung zur Ausführung von Dacharbeiten für die vom Zusatzauftrag erfassten Arbeiten „fortwirke“, kann das für einen Ausschluss des Widerrufsrechts schon deshalb nicht genügen, weil nicht von einem Vertrag über dringende Reparaturarbeiten auszugehen ist. Aus demselben Grunde kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die den Gegenstand des Zusatzauftrags bildenden Arbeiten mit denjenigen des ersten Auftrags in einem engen Zusammenhang standen, erwartbar waren und nicht erheblich von den vom ersten Auftrag erfassten Leistungen abwichen.


C.
Kontext der Entscheidung
§ 312b Abs. 1 BGB enthält eine Legaldefinition des außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages, § 312b Abs. 2 BGB eine Legaldefinition des Begriffs Geschäftsraum. Der Zweck der Bestimmung liegt wie nach altem Recht darin, den Verbraucher vor Überrumpelung zu schützen. Auf die Kausalität der Vertriebssituation, in der sich der Verbraucher befindet, für die Abgabe seiner auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung kommt es nicht mehr an (Junker/Seiter in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 312b BGB (Stand: 01.02.2023), Rn. 1). Für Werkverträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, gilt der Ausschluss des in § 312g Abs. 1 BGB vorgesehenen Widerrufsrechts des Verbrauchers nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht (BGH, Urt. v. 30.08.2018 - VII ZR 243/17). Während die Widerrufsfrist von 14 Tagen bei Kaufverträgen i.S.d. Richtlinie 2011/83/EU erst mit der Lieferung der Sache an den Käufer beginnt (Art. 9 Abs. 2 Buchst. b Richtlinie 2011/83/EU, § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und der Verkäufer deshalb in Fällen speziell hergestellter, anderweitig nicht absetzbarer Ware auf den Ausschluss des Widerrufsrechts angewiesen ist, beginnt die Widerrufsfrist bei Dienstleistungsverträgen i.S.d. Richtlinie 2011/83/EU, zu denen auch Werkverträge zählen, mit dem Tag des Vertragsabschlusses (Art. 9 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2011/83/EU, § 355 Abs. 2 BGB), so dass der Unternehmer sich vor Verlusten, die ihm im Falle eines Widerrufs durch die Fertigung speziell hergestellter, nicht anderweitig absetzbarer Ware entstehen, dadurch schützen kann, dass er mit der Leistungserbringung erst nach Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Bei einem Verbraucherbauvertrag i.S.v. § 650i Abs. 1 BGB beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher gemäß Art. 249 § 3 EGBGB über sein Widerrufsrecht belehrt hat. Das Widerrufsrecht erlischt spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem in § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Zeitpunkt (Vertragsschluss), wie § 356e BGB bestimmt. Verbraucherbauverträge liegen jedoch nur unter engen Voraussetzungen vor. Um einen Verbraucherbauvertrag i.S.v. § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB handelt es sich nicht, wenn sich der Unternehmer nur zur Herstellung eines einzelnen Gewerks verpflichtet, das im Rahmen des Baus eines neuen Gebäudes zu erbringen ist (BGH, Urt. v. 16.03.2023 - VII ZR 94/22). Ein Verbraucher ist von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreit, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags erbracht wurden, wenn der betreffende Unternehmer ihn nicht über sein Widerrufsrecht informiert hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat (EuGH, Urt. v. 17.05.2023 - C-97/22; dazu: Schwenker, jurisPR-PrivBauR 8/2023 Anm. 1).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Nach § 355 Abs. 1 Satz 5 BGB genügt zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Das Berufungsgericht hat im Einlegen des Widerrufsschreibens in den Briefkasten des Beklagten zu Recht die – rechtzeitige – Absendung i.S.v. § 355 Abs. 1 Satz 5 BGB gesehen. Die Auffassung, der Begriff der Absendung erfasse allein den Fall, dass der Verbraucher seine verkörperte Widerrufserklärung per Briefpost aufgebe, trifft nicht zu. Nach Art. 11 Abs. 2 der Verbraucherrechterichtlinie ist die Widerrufsfrist gewahrt, wenn der Verbraucher die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absendet. Damit ist bei einer in Text- oder Schriftform verkörperten Willenserklärung der Zeitpunkt der Absendung maßgeblich. Nichts spricht dafür, dass damit ausschließlich ein Versand gerade per Briefpost maßgeblich sein soll. Das muss daher auch für die vollharmonisierte nationale Regelung in § 355 Abs. 1 Satz 5 BGB gelten. Selbst wenn Sinn und Zweck der Norm darin liegen sollten, den Verbraucher von dem Risiko freizustellen, dass der Widerruf aufgrund nicht vorhersehbarer längerer Postlaufzeiten nicht rechtzeitig zugehe, ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine andere Übermittlungsform als der Postversand, insbesondere ein (rechtzeitiges) Einlegen in den Empfängerbriefkasten, keine tatbestandlich beachtliche Absendung gemäß § 355 Abs. 1 Satz 5 BGB darstellen soll (BGH, Urt. v. 06.07.2023 - VII ZR 151/22 Rn. 35-36).



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