A. Beschleunigung als Ziel der Legislaturperiode
Die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowohl zur Erreichung der Klimaziele als auch zur schnellen, zielsicheren und effizienten Umsetzung von Investitionen ist eine der zentralen Aufgaben, welche die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag für sich identifizierten.1
Diese Aufgabe wurde mit einer Reihe von Maßnahmen angegangen: An die Eröffnungsbilanz Klimaschutz2 schloss sich im Jahr 2022 das Osterpaket, u.a. bestehend aus der Einführung eines überragenden öffentlichen Interesses an erneuerbaren Energien3 und dem Windenergie-an-Land-Gesetz4, an. Im Jahr 2022 trat, bedingt durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, ebenfalls das LNG-Beschleunigungsgesetz („LNGG“) in Kraft. Im Jahr 2023 folgten insbesondere eine VwGO-Novelle5 und eine Novelle des LNGG6, jeweils mit dem Ziel der (weiteren) Verfahrensbeschleunigung. Zuletzt beschlossen Bundestag und Bundesrat das sog. mittlerweile „Dritte Beschleunigungspaket“ mit Schwerpunkt auf der Beschleunigung des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur.7
Im Vergleich der Beschleunigungsgesetzgebung seit 2022 hat das LNGG die weitreichendsten Maßnahmen eingeführt. Der vorliegende Beitrag soll daher einen Überblick über Beschleunigungsmaßnahmen nach dem LNGG geben. Darauf aufbauend wird dargestellt, inwieweit diese Maßnahmen Vorbildfunktion haben und wo noch weitere Potentiale gehoben werden könnten.
B. Vorbild LNGG? – Beschleunigung zur Krisenbewältigung
I. Überragendes öffentliches Interesse (§ 3 LNGG)
Der Gesetzgeber hat im LNGG festgelegt, dass an der schnellstmöglichen Errichtung der LNG-Terminals ein „überragendes öffentliches Interesse“ besteht. Bereits zuvor fand sich der Begriff des „überragenden öffentlichen Interesses“ im Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), dem Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) und dem Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) und seit der Umsetzung des Osterpakets auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).8 Das Immissionsschutzrecht selbst bietet keinen Raum für Abwägungsentscheidungen, auf die sich ein überragendes öffentliches Interesse auswirken könnte, da es sich bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen um gebundene Entscheidungen handelt. Allenfalls bei den nach § 13 BImSchG in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung konzentrierten anderen behördlichen Entscheidungen könnte ein überragendes öffentliches Interesse als Abwägungsbelang Wirkung entfalten.9 Im Hinblick auf Vorhaben nach dem LNGG ist das überragende öffentliche Interesse insbesondere bei flankierenden Entscheidungen nach dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG), Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) oder bei Trägerverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) relevant.
II. Ausnahme von der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung
1. Voraussetzungen
Mit § 4 Abs. 1 LNGG hat der Gesetzgeber den Genehmigungsbehörden als Reaktion auf den Russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Einzelfall die europarechtskonforme10 Möglichkeit eröffnet, zum beschleunigten Ausbau der LNG-Infrastruktur auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung („UVP“) zu verzichten. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich bei dem Antragsgegenstand um ein Vorhaben nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 LNGG handelt und eine beschleunigte Zulassung des konkreten Vorhabens geeignet ist, einen relevanten Beitrag zu leisten, um eine Krise der Gasversorgung zu bewältigen oder abzuwenden. Damit muss die jeweilige Zulassungsbehörde darüber entscheiden, ob hinsichtlich des „konkreten Vorhabens“ eine Ausnahme i.S.d. Art. 2 Abs. 4 UVP-RL in Betracht kommt.11 Wegen der Bezugnahme auf die UVP-RL dürfte – analog zur Rechtsprechung zum UVPG12 – das Fachrecht maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Reichweite der Ausnahme von der Pflicht zur Durchführung einer UVP sein.
2. Rechtsfolge
Liegen die Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 LNGG vor, so ist eine UVP nicht länger durchzuführen. Dies führt jedoch nicht zu einer Absenkung des im Genehmigungsverfahren zu prüfenden materiellen Schutzniveaus, sondern nur zu spezifischen Verfahrenserleichterungen, die in den §§ 5 ff. LNGG ihren Niederschlag finden (vgl. sogleich III., IV., V., VI. und VII.).
Unbeschadet der Verfahrenserleichterungen sind der Öffentlichkeit nach § 4 Abs. 4 LNGG vor Erteilung der Zulassung der Entwurf der Zulassungsentscheidung einschließlich Begründung, die wesentlichen Antragsunterlagen einschließlich der Unterlagen, mit denen die wesentlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt dargestellt werden und die Gründe für die Gewährung der Ausnahme nach § 4 Abs. 1 LNGG zugänglich zu machen. Die Zugänglichmachung hat für die Dauer von vier Tagen mittels Auslegung in Räumen der Zulassungsbehörde und Veröffentlichung auf der Internetseite der Zulassungsbehörde zu erfolgen. Dies soll auch der Schaffung von Akzeptanz für die Vorhaben dienen.
III. Maßgaben zur Anwendung des BImSchG und der IZÜV – Modifikation der Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 5 LNGG)
Für Vorhaben, bei denen von der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 4 Abs. 1 LNGG abgesehen wird, enthält das LNGG Maßgaben zur Anwendung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und der Industriekläranlagen-Zulassungs- und Überwachungsverordnung (IZÜV), die zu einer Beschleunigung der jeweiligen Zulassungsverfahren führen:
Abweichend von § 10 Abs. 3 Satz 2 BImSchG gilt eine verkürzte Frist von einer Woche für die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung nach der Bekanntmachung des Vorhabens. Weiter sind abweichend von § 10 Abs. 3 Satz 4 BImSchG Einwendungen gegenüber der zuständigen Behörde bis eine Woche nach Ablauf der Auslegungsfrist schriftlich oder elektronisch zu erheben. Dies gilt auch für IE-Anlagen.13 Daneben werden durch Verweis auf das Planungssicherstellungsgesetz (PlanSiG) formwahrende Alternativen für bestimmte Verfahrensschritte zur Verfügung gestellt, u.a. reicht für die ortsübliche und öffentliche Bekanntmachung eine Veröffentlichung im Internet aus und Erörterungstermine können als Online-Konsultation erfolgen (vgl. § 10 LNGG). Schließlich steht die Durchführung des Erörterungstermins ausdrücklich im Ermessen der Behörde.
Daneben werden die Anforderungen für die Zulassung des vorzeitigen Beginns nach § 8a Abs. 1 BImSchG modifiziert. Die zuständige Behörde kann den vorzeitigen Beginn bereits vor dem Vorliegen vollständiger Antragsunterlagen zulassen, wenn die Erstellung der fehlenden Unterlagen im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit des Vorhabens bislang nicht möglich war und auch ohne Berücksichtigung der fehlenden Unterlagen mit einer Entscheidung zugunsten des Antragstellers gerechnet werden kann.
IV. Neue Maßgaben für Eilverfahren und erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (§ 11 LNGG)
Das LNGG enthält auch Vorschriften zur Beschleunigung der gerichtlichen Überprüfung von Zulassungsentscheidungen. Dazu zählt neben der Verkürzung des Instanzenzugs durch erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG auch, dass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur binnen Monatsfrist nach Zustellung der Zulassungsentscheidung gestellt und begründet werden kann. Dies soll zur Schaffung von Investitionssicherheit beitragen. Daneben haben – zur möglichst beschleunigten Realisierung der Vorhaben nach LNGG – Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung.
V. Erhöhte Flexibilität im Anwendungsbereich des BNatSchG (§ 6 LNGG)
Die Festsetzung etwaiger naturschutzrechtlicher Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kann von der Zulassungsentscheidung zeitlich entkoppelt werden und bis zu zwei Jahre nach Erteilung der Zulassungsentscheidung erfolgen. Weiter muss mit der Umsetzung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen erst innerhalb von drei Jahren nach deren Festsetzung begonnen werden.
VI. Maßgaben zur Anwendung des WHG (§ 7 LNGG)
Das LNGG regelt für Zulassungsentscheidungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem WHG vergleichbare Verfahrenserleichterungen wie für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Zulassungsentscheidungen nach dem BImSchG. Analog zur Modifikation der Öffentlichkeitsbeteiligung in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren wird die Dauer der Auslegung eines Plans von einem Monat auf eine Woche und die Einwendungsfrist von zwei Wochen auf eine Woche verkürzt. Die Durchführung eines Erörterungstermins wird in das Ermessen der Behörde gestellt.
Daneben existiert für die Wasserentnahme zum Zwecke der Regasifizierung und damit für den Betrieb von LNGG-Terminals mit Hilfe von schwimmenden Speicher- und Regasifizierungseinheiten (Floating Storage and Regasification Units – FSRUs) eine materiell-rechtliche Regelvermutung dahin gehend, dass durch die Entnahme und Wiedereinleitung von Wasser zum Zweck der Regasifizierung verflüssigten Erdgases in der Regel keine schädlichen Gewässerveränderungen gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 WHG zu erwarten sind.
Schließlich werden auch die Anforderungen für die Zulassung des vorzeitigen Beginns nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 WHG analog zu den Verfahrenserleichterungen des BImSchG modifiziert.
VII. Maßgaben zur Anwendung des EnWG (§ 8 LNGG)
Das LNGG enthält neben den Beschleunigungsinstrumenten für immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren (vgl. hierzu insbesondere III.) auch vergleichbare Beschleunigungsinstrumente für Zulassungsentscheidungen nach dem EnWG. Weiter wurden Vorschriften zur Beschleunigung von Kampfmittelräumungen, archäologischen Untersuchungen und Bergungen, zwingend erforderliche Beseitigungen von Bäumen und anderen Gehölzen zur Baufeldfreimachung sowie zur Durchführung naturschutzrechtlicher Ausgleichs- und Vermeidungsmaßnahmen und zum Beginn von Vorarbeiten durch vorzeitige Besitzeinweisung aufgenommen.
C. Beschleunigungsmaßnahmen im sog. „Dritten Beschleunigungspaket“
Mit Beschluss des Bundestages vom 20.10.2023 und Beschluss des Bundesrates vom 24.11.2023 wurde mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1187 über die Straffung von Maßnahmen zur rascheren Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes das sog. „Dritte Beschleunigungspaket“ verabschiedet. Es soll eine rasche Umsetzung der erforderlichen Aus- und Neubauprojekte zur Sicherung und Modernisierung der Verkehrswege ermöglichen. Dabei greift es laut Gesetzesbegründung Regelungsansätze aus dem LNG-Beschleunigungsgesetz auf und überträgt sie auf den Verkehrsbereich.14
Durch entsprechende Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes und des Bundesschienenwegeausbaugesetzes wird die Realisierung besonders wichtiger Vorhaben im Bereich der Fernstraßen und der Eisenbahnen in das überragende öffentliche Interesse gestellt.15 Weiter wurden Ausnahmen von der Pflicht zur Durchführung der UVP für den Ersatzneubau von Brücken von Bundesfernstraßen und für straßenbegleitende Radwege unter bestimmten Voraussetzungen aufgenommen.16 Dies geht darauf zurück, dass die Maßnahmen zum Zeitpunkt ihrer Umsetzung nicht auf die Steigerung des Verkehrs ausgerichtet sind, sondern auf die Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Betriebs der Infrastruktur.17 Zur Beschleunigung der gerichtlichen Überprüfung von Vorhabenzulassungen und damit zur schnelleren Schaffung von Rechtssicherheit erweitert der Gesetzentwurf die Vorhaben, für die das BVerwG erstinstanzlich zuständig ist.18
Mit Blick auf die Aufnahme des überragenden öffentlichen Interesses in das Gesetz, die Ausnahme von der Durchführung der UVP und der erstinstanzlichen Zuweisung an das BVerwG wurden bereits zuvor im LNGG erfolgreich erprobte Beschleunigungsinstrumente übertragen. Jedoch wären im LNGG angelegte, weiter gehende Maßnahmen, wie z.B. im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung, denkbar und im Einzelfall möglich gewesen.
D. Mögliche Maßnahmen in einem Wasserstoffbeschleunigungsgesetz
Zur Erfüllung der Ziele der nationalen Wasserstoffstrategie, die einen Ausbau der Wasserstoffkapazität auf 10 GW bis 2030 vorsieht,19 und zur Sicherung der Energieversorgung ist ein Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Wasserstoffinfrastruktur geplant.20 Bislang liegt nur ein Referentenentwurf zur Anpassung der 4. BImSchV vor, der die Eingruppierung von Wasserstoffelektrolyseuren in den Anhang zur 4. BImSchV betrifft, aber noch keine Beschleunigungsmaßnahmen vorsieht. Ein daneben erwartetes Wasserstoffbeschleunigungsgesetz21 sollte darüber hinaus weitere Verfahrenserleichterungen, vergleichbar dem LNGG, jedenfalls für bestimmte, besonders für die Schaffung einer Energiesicherheit relevante Vorhaben vorsehen. Zu diesem Zweck sollten insbesondere die Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung modifiziert werden (u.a. Fristen und die Durchführung des Erörterungstermins im Ermessen der Zulassungsbehörde) sowie ein überragendes öffentliches Interesse an dem Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur einschließlich der Elektrolyseure22 und die Erleichterungen für die Zulassung des vorzeitigen Beginns aufgenommen werden.
E. Fazit
Mit Blick auf die bisherige Gesetzgebungshistorie wird deutlich, dass insbesondere – wie bereits während der Corona-Pandemie mit dem PlanSiG – die Krisenbewältigung wiederholt als Motor für Beschleunigungsgesetzgebung fungiert.
Zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber an die Verfahrenserleichterungen in den Gesetzen zur Krisenbewältigung anknüpfend Beschleunigungsmechanismen auch auf andere Bereiche ausgedehnt hat, z.B. durch eine spezifische Befreiung von der Pflicht zur Durchführung einer UVP im „Dritten Beschleunigungspaket“ oder die erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG für einzelne Vorhaben im Bereich von Infrastrukturvorhaben. Es deutet sich auch an, dass in weiteren Bereichen, wie z.B. bei der Zulassung von Vorhaben zur Schaffung der notwendigen H2-Infrastruktur, vergleichbare Beschleunigungsmaßnahmen implementiert werden.
Wie die Erfahrung mit dem LNGG zeigt, ist mit den dort anwendbaren Beschleunigungsmaßnahmen keine Absenkung des materiellen Schutzniveaus und der in Zulassungsverfahren zu prüfenden Voraussetzungen verbunden. Daher sollten sich Beschleunigungsmaßnahmen nicht nur auf einzelne Sektoren beschränken, sondern für die Transformation der Wirtschaft und zur Schaffung von Energieversorgungssicherheit möglichst umfassend umgesetzt werden.