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Anmerkung zu:BayObLG München Vergabesenat, Beschluss vom 06.09.2023 - Verg 5/22
Autor:Sarina Schäffer-Teichert, RA'in
Erscheinungsdatum:14.11.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 160 GWB, § 122 GWB, § 97 GWB
Fundstelle:jurisPR-VergR 11/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Lutz Horn, RA
Zitiervorschlag:Schäffer-Teichert, jurisPR-VergR 11/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Rügepräklusion bei fehlender Losaufteilung und Grenzen bei der Festlegung der Eignungskriterien



Leitsätze

1. Der Antragsteller kann mit der Rüge der fehlenden Fachlosaufteilung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 GWB nur präkludiert sein, wenn ein durchschnittlich fachkundiger Bieter unter Anwendung der üblichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass es im maßgeblichen Fachbereich einen eigenständigen Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen gibt.
2. Im Rahmen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB können besonders hohe Anforderungen unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten und diese nicht mehr durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des BayObLG München befasst sich mit der Frage, wann ein Antragsteller mit der Rüge der fehlenden Fachlosaufteilung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 GWB präkludiert ist. Weiter hatte der Senat zu beurteilen, unter welchen Voraussetzungen besonders hohe Anforderungen an die Eignung im Rahmen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB unangemessen sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Rahmen der Sanierung eines Museums beabsichtigte der Auftraggeber die Vergabe von Projektsteuerungsleistungen im offenen Verfahren. Beauftragt werden sollte die Projektsteuerung mit Schnittstellenmanagement für das Gesamtprojekt sowie für das Teilprojekt Bau und das Teilprojekt Ausstellungen, das die Neugestaltung von fünf Einzelausstellungen umfasste. Eine Aufteilung in Lose erfolgte nicht. Der Auftraggeber forderte mindestens zwei Referenzen über Projektsteuerungsleistungen bei Bauvorhaben mit Baukosten jeweils über mindestens 100 Millionen Euro und einer Leistungszeit von mindestens fünf Jahren. Eines dieser zwei Referenzprojekte sollte ein Sanierungsprojekt sein. Zusätzlich war mindestens eine Referenz zu benennen, die die Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen im Rahmen der Sanierung/eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung von Schnittstellen zum Bauprojekt und dem Aus- und Einzug der Ausstellungsprojekte zum Gegenstand hatte. Der Antragsteller rügte die Kriterien als überzogen und äußerte den Verdacht, dass eine Beschränkung des Teilnehmerkreises beabsichtigt sei. Der Auftraggeber half dieser Rüge nur teilweise ab. In einer berichtigten Bekanntmachung wurde nur auf den zusätzlichen Beleg einer Betreuung der Schnittstelle zum Aus- und Einzug der Ausstellungsobjekte verzichtet. Ohne vorherige Einreichung eines Angebots beantragte der Antragsteller die Durchführung eines Nachprüfungsverfahren. Da er keine Referenz für die Projektsteuerung von Ausstellungen im Museumsbereich habe, sei er an der Teilnahme am Verfahren gehindert gewesen. Die Referenzanforderung verstoße gegen § 122 Abs. 4 GWB. Es fehle am Auftragsbezug, da es für die Leistung der Projektsteuerung nicht auf die konkrete Nutzung des Gebäudes ankomme. Außerdem seien die Anforderungen unverhältnismäßig. Im laufenden Nachprüfungsverfahren wurde erstmals die fehlende Losaufteilung gerügt.
Die VK München hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Der Antragsteller sei mit der Rüge der unterbliebenen Losaufteilung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB präkludiert. Im Übrigen hielt die VK München den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Die Eignungsanforderungen stünden gemäß § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB in einem angemessenen Verhältnis zum Auftragsgegenstand. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde. Mit Erfolg. Eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB verneint das BayObLG. Obwohl der Antragsteller die fehlende Losaufteilung weder im Rügeschreiben noch im Nachprüfungsantrag erwähnt hatte, ist nach Ansicht des Senats eine Präklusion ausgeschlossen. Die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen eine Vergabevorschrift setze einerseits die Erkennbarkeit der maßgeblichen Tatsachen, andererseits die Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes voraus. Dabei muss der Verstoß so deutlich zutage treten, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots bzw. seiner Bewerbung auffallen muss; übersteigerte tatsächliche und rechtliche Anforderung dürften diesbezüglich nicht an einen Bieter gestellt werden. Maßstab ist nach Ansicht des Senats ein durchschnittlich fachkundiger Bieter, der die übliche Sorgfalt anwendet. Für einen objektiven Maßstab spricht nach Auffassung des Senats insbesondere die Übereinstimmung mit den Grundsätzen zur Auslegung der Vergabeunterlagen. Insoweit komme es auch nicht auf das Verständnis des individuellen, konkreten Bewerbers an, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters (u.a. BGH, Beschl. v. 07.01.2014 - X ZB 15/13). Maßgeblich ist, wie ein verständiger, sachkundiger und mit derartigen Beschaffungsvorgängen vertrauter Bieter die Vergabeunterlagen verstehen muss. Nach diesem Maßstab liegt hier nach Ansicht des BayObLG keine Präklusion vor. Vorliegend sei das Bestehen eines spezialisierten Marktes weder nach dem Vortrag der Parteien noch sonst offensichtlich gewesen. Insbesondere sei auch ein durchschnittlich fachkundiger Bieter unter Anwendung der üblichen Sorgfalt nicht verpflichtet, zunächst selbst eine Markterkundung durchzuführen, um sich Klarheit über das Bestehen eines speziellen Anbietermarktes und damit verbunden die Pflicht zur Fachlosbildung zu verschaffen. Allein aus der Tatsache, dass der Bieter selbst über keine entsprechende Referenz verfügte, konnte und musste er auch nicht auf das Bestehen eines eigenen Anbietermarkts zur Projektsteuerung im Bereich Ausstellungen schließen. Der Nachprüfungsantrag ist nach Auffassung des BayObLG auch begründet. Zwar bestand keine Pflicht zur Fachlosbildung (ein eigener Anbietermarkt existierte nicht), jedoch verstößt die Forderung eine Referenz zur Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Dauerausstellungen im Rahmen des Neubaus, der Sanierung oder des Umbaus eines Museums nach Auffassung des BayObLG gegen § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB. Der Senat führt aus, dass dem Auftraggeber grundsätzlich bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zustehe. Nach § 122 Abs. 4 GWB dürften allerdings nur Eignungskriterien aufgestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen. Je komplexer der Auftragsgegenstand, desto höhere Eignungsanforderungen könnten gestellt werden. In die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen seien aber auch die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Der Auftraggeber habe abzuwägen zwischen einer möglichst großen Auswahl an Angeboten und der Gefahr nicht ordnungsgemäßer Ausführung. Besonders hohe Anforderungen können unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen sie erfüllen. In einem solchen Fall sei es nötig, dass die Anforderungen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt seien. Je einschneidender der Wettbewerb beschränkt werde, desto höher seien die Anforderungen an die gewichtigen Gründe. Unter Anwendung dieser Grundsätze genügte die geforderte Referenz nicht mehr den Anforderungen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB. Die von dem Auftraggeber angeführten Gründe konnten den Senat nicht überzeugen.


C.
Kontext der Entscheidung
Wie sich bereits den Leitsätzen entnehmen lässt, betrifft die Entscheidung zwei wesentliche Themenkomplexe im Vergaberecht: Die Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB sowie die Anforderungen an die Eignung unter Beachtung der Grenzen in § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB. In Bezug auf die Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB enthält die Entscheidung keine wesentlichen Neuerungen. Der Vergabesenat schließt sich der mittlerweile herrschenden Auffassung an. Maßstab für die Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes nach § 160 Abs. 3 GWB ist ein durchschnittlich fachkundiger Bieter, der die übliche Sorgfalt anwendet. Der Vergabesenat arbeitet die Anforderungen an die Rügepräklusion lehrbuchmäßig im Hinblick auf eine unterbliebene Fachlosbildung heraus. Entscheidend war vorliegend, dass kein eigenständiger Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen im Bereich Projektsteuerungen Ausstellungen offensichtlich war. Die Entscheidung betrifft damit einen Spezialfall; häufig haben die Bieter Kenntnis von dem Vorhandensein eines speziellen Marktes. In der Praxis dürfte die fehlende Fachlosaufteilung daher häufig zu einer Rügeverpflichtung führen. Hinsichtlich der Eignungskriterien macht der Senat deutlich, dass besonders hohe Eignungsanforderungen nach § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB unangemessen sein können, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten und diese nicht mehr durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind. Auftraggeber müssen daher bei der Festlegung besonders hoher Eignungskriterien die Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Blick haben. Der Auftraggeber kann sich später nicht darauf berufen, dass ein Bieter, der die Mindestanforderungen nicht erfüllt, auch bei einer Reduzierung der Eignungsanforderungen keine Aussicht auf den Zuschlag hätte, weshalb der Nachprüfungsantrag unbegründet sei. Der Senat hat klargestellt, dass dem Auftraggeber bei Neufassung der Eignungskriterien ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht, wie er die Mindestanforderungen neu fassen möchte. Es sei daher nicht ausschließbar, dass der Bieter nach Änderung der Mindestanforderungen eine Chance auf den Zuschlag hätte.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BayObLG sorgt für weitere Rechtssicherheit, indem klargestellt wird, dass bei der Frage der Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes nach § 160 Abs. 3 GWB ein objektiver Maßstab anzulegen ist. In Bezug auf die fehlende Fachlosaufteilung stellt der Senat folgendes heraus: Die Rügepflicht setzt voraus, dass ein durchschnittlich fachkundiger Bieter unter Anwendung der üblichen Sorgfalt erkennen kann, ob für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen vorhanden ist. Ein durchschnittlich fachkundiger Bieter ist nach Ansicht des Senats nicht verpflichtet, selbst eine Markterkundung durchzuführen, um sich Klarheit über das Bestehen eines spezialisierten Anbietermarktes zu verschaffen. Auch wenn der Sachverhalt einen Spezialfall darstellt, zeigt das Gericht auf, unter welchen Voraussetzungen die fehlende Rüge unschädlich sein kann. Für Berater, die einen Bieter vertreten, der die fehlende Fachlosaufteilung nicht gerügt hatte, finden sich in dieser Entscheidung die relevanten Abgrenzungskriterien, um die Erfolgsaussichten eines Nachprüfungsverfahrens beurteilen zu können. Auftraggeber müssen bei der Festlegung der Eignungskriterien § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB beachten. In die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen sind auch die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Die hohen Eignungskriterien müssen bei einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch eine gewichtige Begründung gerechtfertigt sein. Die Gründe sind vom Auftraggeber zu dokumentieren.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Im Rahmen eines obiter dictums hat der Senat seine Rechtsansicht zu einer weiteren umstrittenen Frage im Zusammenhang mit der fehlenden Losaufteilung durchblicken lassen. Nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB kann von einer Losaufteilung nur abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Die Begründung des Auftraggebers ist für den Bieter häufig nicht erkennbar. Verzichtet der Auftraggeber bei Bestehen eines spezialisierten Marktes auf die Fachlosbildung, liegt ein Vergabeverstoß nahe. Mit Sinn und Zweck der Rügepflicht ist es nach Auffassung des Senats nur schwer zu vereinbaren, wenn der Bieter in einer derartigen Situation sich die Rüge des naheliegenden Vergabeverstoßes für den Fall vorbehalten kann, dass sein Angebot nicht zum Zuge kommen sollte. Nach den Überlegungen des BayObLG würde die Rügepflicht in erheblichem Umfang leerlaufen, wenn der Bieter erst nach Erkennbarkeit der Gründe des Auftraggebers, also häufig erst nach Einsicht in den Vergabevermerk, zur Rüge verpflichtet sein könnte.



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