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Anmerkung zu:BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 27.09.2023 - IV ZR 177/22
Autor:Arno Schubach, RA und FA für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:16.11.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 203 VVG, § 254 ZPO, § 253 ZPO, § 675 BGB, § 666 BGB, § 3 VVG, § 810 BGB, § 563 ZPO, § 242 BGB, § 204 BGB, EUV 2016/679
Fundstelle:jurisPR-VersR 11/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Schubach, jurisPR-VersR 11/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unzulässigkeit der Stufenklage und Voraussetzungen eines Auskunftsanspruches in Verfahren über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der PKV



Leitsätze

1. Dem Versicherungsnehmer kann aus Treu und Glauben ein Auskunftsanspruch über zurückliegende Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung zustehen, wenn er in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist.
2. Aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO folgt grundsätzlich kein Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben zu den Prämienanpassungen samt Anlagen.



A.
Problemstellung
In Zivilprozessen des Versicherungsnehmers gegen seinen privaten Krankenversicherer wegen Beitragsanpassungen wurde in vielen Fällen in Form der Stufenklage vorgegangen, indem in der ersten Stufe Kopien von Abschriften der Mitteilungen gemäß § 203 Abs. 5 VVG und Nachträge zum Versicherungsschein verlangt wurden, die im Rahmen von erfolgten Beitragsanpassungen vom Krankenversicherer übersandt wurden. Gegenstand der zweiten Stufe der Klage sollten dann Leistungs- und Feststellungsanträge sein, soweit sich aus den dann erteilten Informationen die Unwirksamkeit erfolgter Beitragsanpassungen herleiten lässt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH befasst sich in der Entscheidung erstmals mit der Frage der Zulässigkeit einer solchen Stufenklage sowie des darin enthaltenen Auskunftsantrages. Dabei geht es auch um die Frage, ob eine unzulässige Stufenklage gemäß § 254 ZPO in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung umgedeutet werden kann und das Auskunftsbegehren auf dieser Grundlage zulässig ist. Schließlich ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Entscheidung, inwieweit der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf nochmalige Überlassung der Dokumente hat, die ihm im Rahmen von Beitragsanpassungen von seinem privaten Krankenversicherer in der Vergangenheit übersandt worden sind.
Der BGH stellt zum ersten Punkt klar, dass bei einer Stufenklage die Auskunft lediglich ein Hilfsmittel ist, um die (noch) fehlende Bestimmtheit des Leistungsanspruchs herbeizuführen. An einer der Stufenklage eigentümlichen Verknüpfung von unbestimmtem Leistungsanspruch und vorbereitendem Auskunftsanspruch fehle es demgegenüber, wenn die Auskunft nicht dem Ziel der Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dient, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.2011 - VI ZR 117/10 - BGHZ 189, 79 Rn. 8; BGH, Urt. v. 18.04.2002 - VII ZR 260/01 - NJW 2002, 2952 Rn. 16; BGH, Urt. v. 02.03.2000 - III ZR 65/99 - NJW 2000, 1645 Rn. 18). Deshalb sei die Stufenklage nicht zulässig, wenn es dem Kläger nicht um die Bezifferung eines sich aus einer Rechnungslegung ohne Weiteres ergebenden Anspruchs, sondern um eine Prüfung gehe, ob überhaupt ein Anspruch besteht (vgl. OLG Celle, Urt. v. 15.12.2022 - 8 U 165/22 - VersR 2023, 429 Rn. 120-122; OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 35 f.; OLG Koblenz, EuGH-Vorlage v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 - RuS 2023, 62 Rn. 8; OLG Naumburg, Urt. v. 11.10.2022 - 1 U 171/21 - VersR 2023, 436 Rn. 44; OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2022 - 6 U 799/22 - RuS 2023, 66 Rn. 5-7; OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 5; OLG München, Beschl. v. 24.11.2021 - 14 U 6205/21 Rn. 69-71; a.A. im Hinblick auf den dort zu entscheidenden Einzelfall OLG Schleswig, Urt. v. 18.07.2022 - 16 U 181/21 - VersR 2022, 1489 Rn. 68-70).
Auf Grundlage dieser Beurteilung der Stufenklage als unzulässig bestätigt der BGH sodann, dass die Umdeutung in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung erfolgen kann mit der Folge, dass der nicht auf bestimmte Beitragsanpassungen konkretisierte Feststellungsantrag und der unbezifferte Zahlungsantrag wegen Verstoßes gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig sind, jedoch der isolierte Auskunftsantrag zulässig ist.
Eine solche Umdeutung setzt voraus, dass ein berechtigtes Interesse des Klägers an der begehrten Auskunft zu erkennen ist (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.2011 - VI ZR 117/10 - BGHZ 189, 79 Rn. 13; BGH, Urt. v. 02.03.2000 - III ZR 65/99 - NJW 2000, 1645 Rn. 22). Im konkreten Fall hat der BGH dieses bejaht, da der Kläger nach seinem Vorbringen die Auskunft benötigt, um zu prüfen, ob vergangene Beitragserhöhungen unwirksam waren und er deshalb geleistete Zahlungen teilweise zurückfordern oder die weitere laufende Beitragszahlung kürzen darf. Dabei steht eine etwaige Verjährung solcher Ansprüche nach Ansicht des BGH der Zulässigkeit der Auskunftsklage nicht entgegen, vielmehr wäre dies erst im Rahmen der Begründetheit der Auskunftsklage zu prüfen (vgl. BGH, Urt. v. 04.10.1989 - IVa ZR 198/88 - BGHZ 108, 393, 399 Rn. 16; BGH, Urt. v. 03.10.1984 - IVa ZR 56/83 - NJW 1985, 384 Rn. 11).
Einer solchen Umdeutung konnte im konkreten Fall nicht entgegengehalten werden, dass nach dem Rechtsschutzziel des Klägers die Verbindung von Auskunfts- und Leistungsantrag derartig eng sein sollte, dass die gesamte Rechtsverfolgung mit dieser Stufung „stehen und fallen“ sollte (vgl. BGH, Urt. v. 18.04.2002 - VII ZR 260/01 - NJW 2002, 2952 Rn. 21; BGH, Urt. v. 02.03.2000 - III ZR 65/99 - NJW 2000, 1645 Rn. 23). Eine solche enge Verbindung konnte der BGH im zu entscheidenden Fall nicht feststellen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Kläger die Auskunft unabhängig von der Zulässigkeit der Stufenklage auch isoliert erhalten möchte. Die interessengerechte Auslegung des Rechtsschutzbegehrens ergebe daher, dass auch bei Unzulässigkeit der Feststellungs- und Leistungsanträge ein sinnvolles Rechtsschutzbegehren im Hinblick auf den Auskunftsanspruch besteht. Dieser diene auch weiterhin der Vorbereitung von Zahlungsansprüchen bzw. einer Verringerung des aktuell geschuldeten Beitrages. Für die Umdeutung ist demgegenüber nicht die Feststellung erforderlich, dass der Kläger die Auskunftsklage auch isoliert erhoben hätte (vgl. auch OLG Celle, Urt. v. 15.12.2022 - 8 U 165/22 - VersR 2023, 429 Rn. 123; OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2022 - 6 U 799/22 - RuS 2023, 66 Rn. 13; OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 6; OLG Koblenz, EuGH-Vorlage v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 - RuS 2023, 62 Rn. 10; OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 37; OLG Naumburg, Urt. v. 11.10.2022 - 1 U 171/21 - VersR 2023, 436 Rn. 45).
Allerdings hat der der BGH klargestellt, dass trotz der Möglichkeit der Umdeutung die Stufenklage nicht zur Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB geführt hat, da die Voraussetzungen einer Stufenklage nicht vorlagen und die im Wege der Umdeutung verbliebenen Feststellungs- und Leistungsanträge entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den Streitgegenstand nicht hinreichend individualisiert habe (vgl. BGH, Urt. v. 21.02.2013 - IX ZR 92/12 - WM 2013, 574 Rn. 30 m.w.N.). Im konkreten Fall sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass Rückforderungsansprüche in Betracht kommen, bei denen die Regelverjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Nicht bestätigt hat jedoch der BGH die Beurteilung des Berufungsgerichtes, dass tatsächlich ein Auskunftsanspruch besteht und sich dieser insbesondere aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nach § 242 BGB ergibt.
Nach § 242 BGB besteht im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht nur dann, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Insoweit hängt die Frage, ob eine solcher Auskunftsanspruch besteht, von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (vgl. BGH, Beschl. v. 01.06.2016 - IV ZR 507/15 - VersR 2016, 1236 Rn. 7; BGH, Urt. v. 02.12.2015 - IV ZR 28/15 - VersR 2016, 173 Rn. 15; BGH, Urt. v. 26.06.2013 - IV ZR 39/10 - VersR 2013, 1381 Rn. 24 f.).
Mit Blick darauf, dass die obergerichtliche Rechtsprechung zu einem solchem Auskunftsanspruch in Verfahren über Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung uneinheitlich ist (bejahend OLG Naumburg, Urt. v. 11.10.2022 - 1 U 171/21 - VersR 2023, 436 Rn. 47 ff.; im Grundsatz auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 43 ff.; OLG Stuttgart, Urt. v. 18.11.2021 - 7 U 244/21 Rn. 80 ff.; verneinend OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2022 - 6 U 799/22 - RuS 2023, 66 Rn. 17-20; OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 13-15; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 Rn. 20; OLG Köln, Urt. v. 13.05.2022 - 20 U 198/21 Rn. 65 ff.; OLG München, Beschl. v. 24.11.2021 - 14 U 6205/21 - RuS 2022, 94 Rn. 44 f.; vgl. auch OLG Schleswig, Urt. v. 18.07.2022 - 16 U 181/21 - VersR 2022, 1489 Rn. 50 ff.), hat der BGH zunächst klargestellt, dass ein solcher Auskunftsanspruch grundsätzlich in Betracht kommt und diesem innerhalb vertraglicher Beziehungen die Funktion zukommen kann, dem Berechtigten Informationen über das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach zu verschaffen (vgl. Krüger in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. § 260 Rn. 16; Haeffs, Der Auskunftsanspruch im Zivilrecht, 2010, S. 131). Dies setzt zwar ausreichende Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hauptanspruchs voraus, dessen Vorbereitung die Auskunft dienen soll (vgl. BGH, Urt. v. 26.06.2013 - IV ZR 39/10 - VersR 2013, 1381 Rn. 24; BGH, Urt. v. 26.02.1986 - IVa ZR 87/84 - BGHZ 97, 188 Rn. 16). Die Auffassung, dass ein Leistungsanspruch dem Grunde nach feststehen müsse (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1994 - X ZR 82/92 - BGHZ 126, 109 Rn. 25; BGH, Urt. v. 14.07.1987 - IX ZR 57/86 - NJW-RR 1987, 1296, unter Il 1 d und 2; BGH, Urt. v. 06.06.1979 - VIII ZR 255/78 - BGHZ 74, 379 Rn. 10 m.w.N.; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 260 Rn. 6; Krüger in: MünchKomm BGB, § 260 Rn. 15 f.), überzeugt nach Sicht des IV. Zivilsenates jedoch nicht, weil dies nicht hinreichend berücksichtigt, dass das zwischen den Parteien bestehende Versicherungsvertragsverhältnis in besonderer Weise von Treu und Glauben beherrscht wird (vgl. BGH, Urt. v. 11.09.2019 - IV ZR 20/18 - VersR 2019, 1412 Rn. 23 m.w.N.), und der Anspruch des Versicherungsnehmers aus Leistungskondiktion das Spiegelbild zu seiner vertraglichen Beitragszahlungspflicht bildet.
Beanstandet hat der BGH im konkreten Fall aber die Beurteilung durch das Berufungsgericht, dass ein Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB tatsächlich besteht, weil der Kläger sich in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen befinde. Ein Versicherer sei nicht schon dann nach § 242 BGB zur Auskunft über den Inhalt der bereits übersandten Mitteilungen verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer lediglich glaubhaft erklärt, die betreffenden Unterlagen stünden ihm jedenfalls nicht mehr zur Verfügung. Die insoweit im Verfahren angeführte höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Verhältnis zwischen Bankkunden und Kreditinstitut und der Frage, inwieweit der Kunde, dem im Grundsatz ein Anspruch auf Auskunft und Rechenschaft nach den §§ 675, 666 BGB zusteht, die Zusendung einzelner Unterlagen erneut verlangen kann, lasse sich nicht auf das Verlangen des Versicherungsnehmers übertragen, ihm Mitteilungsschreiben bezüglich vergangener Prämienerhöhungen in der privaten Krankenversicherung erneut zu übersenden. In diesem Fall besteht kein aus Auftrag oder Geschäftsbesorgung folgende Rechenschaftspflicht. Auch folge daraus, dass das Versicherungsverhältnis nach der Senatsrechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 11.09.2019 - IV ZR 20/18 - VersR 2019, 1412 Rn. 23 m.w.N.) besonders von Treu und Glauben geprägt ist, nicht, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer voraussetzungslos Unterlagen erneut zur Verfügung stellen muss, damit dieser Ansprüche gegen den Versicherer prüfen kann (a.A. OLG Naumburg, Urt. v. 11.10.2022 - 1 U 171/21).
Vielmehr müsse der Tatrichter Feststellungen dazu treffen, ob der Versicherungsnehmer tatsächlich nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt, wenn dies von der Beklagten im Prozess bestritten worden ist. Nur dann könne der Versicherungsnehmer über Bestehen und Umfang seiner Rechte im Ungewissen und nicht in der Lage sein, sich die notwendigen Informationen selbst auf zumutbare Weise zu beschaffen (vgl. Krüger in: MünchKomm BGB, § 260 Rn. 18). Treu und Glauben gebieten es gerade nicht, dem Auskunftssuchenden die eigenen Mühen auf Kosten des Auskunftsverpflichteten zu ersparen (vgl. OLG Köln, Urt. v. 13.05.2022 - 20 U 198/21 Rn. 68).
Wird festgestellt, dass der Versicherungsnehmer nicht mehr über die Unterlagen verfügt, bedarf es zudem der weiteren Aufklärung der Gründe des Verlustes. Eine entschuldbare Ungewissheit über seine Rechte kann nicht bereits dann bejaht werden, wenn der Versicherungsnehmer die Unterlagen über die Beitragsanpassungen nicht mehr besitzt und zu den Gründen des Verlusts nicht weiter vorträgt (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2022 - 6 U 799/22 - RuS 2023, 66 Rn. 19 f.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 15; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 Rn. 20; OLG München, Beschl. v. 24.11.2021 - 14 U 6205/21 - RuS 2022, 94 Rn. 46; Boetius, RuS 2023, 193, 201). Es bedarf der Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer. Erst dann könne beurteilt werden, ob der Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BGH, Urt. v. 01.06.2016 - IV ZR 507/15 - VersR 2016, 1236 Rn. 7; BGH, Urt. v. 02.12.2015 - IV ZR 28/15 - VersR 2016, 173 Rn. 15) ausnahmsweise einen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB hat.
Nachdem der BGH auf Grundlage der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen einen Anspruch aus § 242 BGB nicht bejahen konnte, hat er sich mit der Frage befasst, ob die Auskunft aufgrund einer anderen Anspruchsgrundlage verlangt werden kann.
Einen Anspruch gemäß § 3 Abs. 3 VVG verneint der BGH. Zwar könne nach dieser Vorschrift der Versicherungsnehmer vom Versicherer die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins verlangen, soweit dieser abhandengekommen oder vernichtet ist. Die mit dem Auskunftsbegehren herausverlangten Anschreiben, Begründungen und Beiblätter seien hiervon aber nicht erfasst (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 04.05.2022 - 11 U 239/21 Rn. 8; OLG Nürnberg, Urt. v. 14.03.2022 - 8 U 2907/21 - VersR 2022, 622 Rn. 41). Zudem könne auch die Überlassung von früheren Nachträgen zum Versicherungsschein nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden. Der Versicherungsschein habe eine Informations-, Legitimierungs- und Beweisfunktion (vgl. BT-Drs. 16/3945, S. 57; Armbrüster in: MünchKomm VVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 2; Bruck/Möller/Knops, VVG, 10. Aufl., § 3 Rn. 3). Damit sich der Versicherungsnehmer über die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag informieren und diese nachweisen kann, gebe ihm § 3 Abs. 3 VVG einen Anspruch nur auf Ersatzausstellung des Versicherungsscheins einschließlich solcher Nachträge, die den derzeit geltenden Vertragsinhalt wiedergeben, nicht dagegen bereits überholte Nachträge (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2022 - 6 U 799/22 - RuS 2023, 66 Rn. 21; a.A. OLG Schleswig, Urt. v. 18.07.2022 - 16 U 181/21 - VersR 2022, 1489 Rn. 31; Boetius, RuS 2023, 193, 201).
§ 3 Abs. 4 Satz 1 VVG könne ebenfalls den geltend gemachten Anspruch nicht begründen, da dieser sich nur auf eigene Erklärungen des Versicherungsnehmers bezieht, nicht auf solche des Versicherers (vgl. OLG Koblenz, EuGH-Vorlage v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 - RuS 2023, 62 Rn. 13; Armbrüster in: MünchKomm VVG, § 3 Rn. 51).
Ebenso ergebe sich der Anspruch nicht aus § 810 BGB, da dieser lediglich die Gestattung der Einsichtnahme in eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde ermöglicht (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 17; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 Rn. 18; OLG München, Beschl. v. 24.11.2011 - 14 U 6205/21 Rn. 62 f.; OLG Schleswig, Urt. v. 18.07.2022 - 16 U 181/21 - VersR 2022, 1489 Rn. 39 f.; Boetius, RuS 2023, 193, 201).
Auf dieser Grundlage hatte der BGH schließlich zu entscheiden, ob sich der geltend gemachte Anspruch aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DSGVO herleiten lässt. Er verneint, dass gestützt auf diese Anspruchsgrundlage gezielt die Abschrift der gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen verlangt werden kann, da es sich weder bei den Anschreiben selbst noch bei den beigefügten Anlagen (Beiblätter, Nachträge zum Versicherungsschein) jeweils in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers handelt. Nach den Grundsätzen des EuGH sind nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH Schreiben der betroffenen Person an den Verantwortlichen ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten einzustufen, da die personenbezogene Information bereits darin besteht, dass die betroffene Person sich dem Schreiben gemäß geäußert hat, demgegenüber Schreiben des Verantwortlichen an die betroffene Person nur insoweit, als sie Informationen über die betroffene Person nach vom EuGH entwickelten Kriterien enthalten (vgl. BGH, Urt. v. 15.06.2021 - VI ZR 576/19 - RuS 2021, 525 Rn. 25). Entsprechend seien nur die personenbezogenen Daten eines Versicherungsscheines nicht vom Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 DSGVO ausgeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 15.06.2021 - VI ZR 576/19 Rn. 24). Daraus folge, dass es sich keinesfalls bei den gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen um personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers handelt. Vielmehr enthielten die einzelnen Teile (Anschreiben, Beiblatt, Nachtrag zum Versicherungsschein) jeweils einzelne personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers und mitversicherter Personen. Im konkreten Fall habe der Kläger jedoch seinen Auskunftsanspruch und den Antrag nicht entsprechend beschränkt.
Da der Begriff der personenbezogenen Daten – soweit dies für den konkreten Fall von Bedeutung ist – durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt sei, hat der BGH das Erfordernis einer Vorlage zum EuGH verneint.
Weiter befasst sich der BGH mit Art. 15 Abs. 3 DSGVO, nach dem der Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung stellen muss. Der BGH geht dabei auf die Ansicht ein, dass Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO eine eigenständige Anspruchsgrundlage sei, die den Verantwortlichen verpflichte, der betroffenen Person die verarbeiteten personenbezogenen Daten in der bei ihm vorliegenden „Rohfassung“ als Kopie zu übermitteln (vgl. zum Auskunftsanspruch hinsichtlich Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung OLG Köln, Urt. v. 13.05.2022 - 20 U 198/21 Rn. 79 m.w.N.; OLG Celle, Urt. v. 15.12.2022 - 8 U 165/22 - RuS 2023, 160 Rn. 81 m.w.N.; vgl. ferner OLG München, Urt. v. 04.10.2021 - 3 U 2906/20 - ZD 2022, 39 Rn. 19 f. m.w.N.; Engeler/Quiel, NJW 2019, 2201, m. zahlr. w. N. im Hinblick auf die diesbezüglichen Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: BGH, Beschl. v. 29.03.2022 - VI ZR 1352/20 - VersR 2022, 954 Rn. 40, sowie OLG Koblenz, EuGH-Vorlage v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 - RuS 2023, 62 Rn. 43; offenlassend BVerwG, Urt. v. 30.11.2022 - 6 C 10/21 - NVwZ 2023, 346 Rn. 23-28), sowie auf die Gegenansicht, dass sich aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO zwar ein Anspruch auf eine Kopie der nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zu beauskunftenden Daten ergibt, nicht aber generell ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien bestimmter Dokumente (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 17.06.2021 - 7 U 325/20 - ZD 2022, 45 Rn. 43, 45 m.w.N.; wiederum mit zahlreichen weiteren Nachweisen BGH, Beschl. v. 29.03.2022 - VI ZR 1352/20 - VersR 2022, 954 Rn. 38 f. und OLG Koblenz, EuGH-Vorlage v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 - RuS 2023, 62 Rn. 45). Diese Streitfrage sei durch das Urteil des EuGH vom 04.05.2023 (C-487/21 - VersR 2023, 1176) geklärt. Der EuGH habe darin klargestellt, dass Art. 15 Abs. 1 DSGVO den Gegenstand und den Anwendungsbereich des Auskunftsrechts festlege, Art. 15 Abs. 3 DSGVO demgegenüber die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der Verpflichtung (EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-487/21 Rn. 30 f.). Art. 15 DSGVO könne mithin nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Absatz 3 Satz 1 ein anderes Recht als das in seinem Absatz 1 vorgesehene gewähre. Der Begriff der „Kopie“ beziehe sich insoweit nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthalte. Daher müsse die Kopie alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung seien (EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-487/21 Rn. 32). Die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken könne sich lediglich ausnahmsweise als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten (EuGH, Urt. v. 04.05.2023 - C-487/21 Rn. 41). Diese vom EuGH angesprochene Ausnahme komme nach Ansicht des BGH im zu beurteilenden Fall allerdings nicht in Betracht, weil der Kläger weder dazu vorgetragen hat noch sonst ersichtlich ist, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten.
Da er einen Anspruch aus Art. 15 DSGVO im zu beurteilenden Fall schon aus den vorstehenden Gründen verneint hat, konnte der BGH offenlassen, inwieweit der Kläger im Hinblick auf Art. 12 Abs. 5 Satz 2 Buchst. b DSGVO und den Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DSGVO mit dem geltend gemachten Anspruch ausgeschlossen wäre, weil er datenschutzfremde Zwecke verfolgt (vgl. BGH, Beschl. v. 29.03.2022 - VI ZR 1352/20 - VersR 2022, 954 Rn. 15 m.w.N.; im Hinblick auf Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung vgl. OLG Koblenz, EuGH-Vorlage v. 19.10.2022 - 10 U 603/22 - RuS 2023, 62 Rn. 23 ff.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.11.2022 - 12 U 305/21 - VersR 2023, 99 Rn. 9-11; OLG Schleswig, Urt. v. 18.07.2022 - 16 U 181/21 - VersR 2022, 1489 Rn. 43 f.; OLG Celle, Urt. v. 15.12.2022 - 8 U 165/22 - RuS 2023, 160 Rn. 77; OLG Köln, Urt. v. 13.05.2022 - 20 U 198/21 Rn. 86).
Schließlich hat der BGH hinsichtlich der als Nebenforderung geltend gemachten Rechtsanwaltskosten einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bejaht, weil in der unberechtigten Geltendmachung nicht geschuldeter Erhöhungsbeträge aus einer unwirksamen Prämienanpassung eine Pflichtverletzung des Krankenversicherers liege (vgl. BGH, Urt. v. 21.09.2022 - IV ZR 2/21 - VersR 2022, 1414 Rn. 35 m.w.N.). Die Höhe des Anspruches auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten hänge aber von den begründeten Ansprüchen des Klägers in der Hauptsache ab.
Da für die abschließende Beurteilung des Auskunftsanspruches und des Anspruches auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten die erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen fehlten, hat der BGH gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Zivilgerichte sind seit einigen Jahren in großem Umfang mit Klagen von Versicherungsnehmern gegen Beitragsanpassungen ihrer privaten Krankenversicherer befasst. Ziel dieser Klagen ist, einerseits die Zahlungspflicht für die Zukunft zu senken und andererseits in der Vergangenheit zu viel gezahlte Beiträge zurückzuerhalten. Dabei ist nicht selten in der Weise vorgegangen worden, dass im Wege der Stufenklage zunächst für einen gewissen Zeitraum (z.B. zehn Jahre) die nochmalige Überlassung der Mitteilungen über erfolgte Beitragsanpassungen nebst Nachträgen zum Versicherungsschein verlangt wird, um dann eine etwaige Unwirksamkeit zu prüfen und hieraus Ansprüche abzuleiten.
Dieses Vorgehen hat einige rechtliche Fragen aufgeworfen, beginnend mit der Zulässigkeit der Stufenklage, der Hemmung der Verjährung und das Bestehen eines Auskunftsanspruches, insbesondere auch aufgrund Art. 15 DSGVO.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Nach der Entscheidung des BGH muss der Kläger, der einen Anspruch auf nochmalige Überlassung der Dokumente aus § 242 BGB herleiten will, darlegen und beweisen, dass er nicht mehr über die Dokumente verfügt und entschuldbare Gründe für den Verlust vorliegen. Daher wird die bisher oft übliche Vorgehensweise nicht mehr in Betracht kommen, statt die noch vorhandenen Dokumente selbst zu sichten und vorzulegen einfach vom Versicherer vor oder in dem Zivilprozess zu verlangen, die Unterlagen nochmals zu überlassen. Bei Bestreiten des Vortrages des Versicherungsnehmers durch den Versicherer muss dann zunächst Beweis erhoben werden über die Frage, ob der Versicherungsnehmer die Unterlagen tatsächlich nicht mehr hat und was die Gründe für einen etwaigen Verlust sind.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH hat im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit klargestellt, dass die unzulässige Stufenklage nicht zur Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB führt. Daher wird in vielen Verfahren, in denen im Wege der Stufenklage vorgegangen wurde, im meist mehrere Jahre dauernden Prozessverlauf inzwischen Verjährung potenzieller Rückforderungsansprüche eingetreten sein. Dies könnte in einer Vielzahl von Fällen zu Regressansprüchen der Versicherungsnehmer gegen ihre Prozessbevollmächtigten führen.



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