EuGH-Vorlage zur Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches („Metall auf Metall V“)Leitsätze Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22.06.2001, S. 10) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ist die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling? Gelten für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage? 2. Erfordert die Nutzung „zum Zwecke“ eines Pastiche i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG die Feststellung einer Absicht des Nutzers, einen urheberrechtlichen Schutzgegenstand zum Zwecke eines Pastiche zu nutzen oder genügt die Erkennbarkeit des Charakters als Pastiche für denjenigen, dem der in Bezug genommene urheberrechtliche Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiche erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt? - A.
Problemstellung Für die Parteien ist ein Zivilprozess meist vor allem eines: ärgerlich. Das Verfahren kostet Zeit, Geld und Nerven. Am Schluss gibt es oft nicht mehr viel zu gewinnen, zumal viele Verfahren in der Praxis mit einem Vergleich enden. Privatleuten ist daher von der „Einleitung gerichtlicher Schritte“ tendenziell abzuraten. Der Zweck des Prozesses u.a. Rechtsfrieden herzustellen, wird gerade bei Auseinandersetzungen im privaten Umfeld nicht selten verfehlt (zu den Prozesszwecken Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 1 Rn. 9 ff.). Gerichtsurteile sind freilich für den Rechtsstaat essentiell. Hier kann erstens anhand konkreter Fälle geprüft werden, ob die gesetzlichen Regelungen praxistauglich sind. Präzedenzfälle schaffen zweitens für Dritte wertvolle Orientierung. Je dichter das Netz an Entscheidungen, desto höher die Rechtssicherheit im Hinblick auf ein bestimmtes Rechtsproblem. Drittens kann die höchstrichterliche Rechtsprechung das Recht fortbilden, wenn die gesetzlichen Regelungen lückenhaft sind oder neue Phänomene nicht erfassen. Gerade hier liegt eine zentrale Funktion des Zivilprozesses (vgl. nur § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO; Musielak in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, Einl. Rn. 5). Die Diskrepanz zwischen individueller Prozessbelastung und mittels eines Zivilprozesses generierten gesamtgesellschaftlichen Vorteilen lässt sich besonders gut an der Prozessgeschichte der „Metall auf Metall“-Entscheidungen studieren. Während es im Sachverhalt um die Entnahme einer – bezeichnenderweise – zweisekundigen Rhythmussequenz von einem Tonträger geht, dauert der Prozess bereits rund 20 Jahre (Überblick zur Prozessgeschichte bei Ohly, GRUR 2023, 1536; Grünberger, ZUM 2022, 579). Gewissheit, wie der Rechtsstreit ausgeht, haben die Parteien noch immer nicht; dafür ist die Rechtspraxis aber mit einer beachtlichen Zahl an Leitentscheidungen beglückt worden. Allen voran das BVerfG konnte den Urheberrechtlern (nochmals) die Bedeutung der Kunstfreiheit bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts ins Stammbuch schreiben (BVerfG, Urt. v. 31.05.2016 - 1 BvR 1585/13 - GRUR 2016, 690 „Metall auf Metall“), während etwa der EuGH erklären konnte, warum § 24 UrhG a.F. unionsrechtswidrig ist (EuGH, Urt. v. 29.07.2019 - C-476/17 Rn. 56-65 - GRUR 2019, 929 „Pelham GmbH u.a./Ralf Hütter u.a.“). Die Rechtsordnung hat auf Basis des bisherigen Verfahrensverlaufs schon einiges gelernt. Die Lernkurve dürfte weiter ansteigen, da der BGH den Fall nunmehr dem EuGH ein weiteres Mal vorgelegt hat: diesmal im Kern zur Klärung des Begriffs „Pastiche“ (Art. 5 Abs. 3 Buchst. k InfoSoc-RL; vgl.a. § 51a UrhG). Die Parteien des Rechtsstreits (teils wird der Prozess von Rechtsnachfolgern geführt) sind/waren nicht nur Künstler – die Kläger, Mitglieder der Musikgruppe „Kraftwerk“, haben 1977 ein Musikstück mit dem Titel „Metall auf Metall“ aufgenommen; die Beklagten sind die Komponisten des Titels „Nur mir“, wobei dieser in fortlaufender Wiederholung mit einer der Klägeraufnahme entnommenen zweisekundigen Rhythmussequenz unterlegt ist – sondern wegen ihrer Ausdauer bei der Verfahrensführung – so kann man es durchaus auch einmal formulieren – „wahre Helden des Rechtsstaats“.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kern der Entscheidung dreht sich um den Begriff „Pastiche“ (dazu u.a. Peters, GRUR 2022, 1482; Stützle/Bischoff, ZUM 2022, 683). Der Begriff „Pastiche“ wirft dabei Auslegungsfragen auf. Aus dem allgemeinen Sprachgebrauch lässt sich die Reichweite des Begriffs kaum klären, zu unterschiedlich ist das Begriffsverständnis. Allerdings will der BGH aus allen Bedeutungsvarianten zumindest herausdestillieren, dass einem Pastiche „der referenzielle Charakter in Bezug auf etwas bereits Bestehendes“ immanent ist (Rn. 27). Ein unbestimmter Begriff wie der des „Pastiche“ kann dabei zugleich Einfallstor für interdisziplinäre Überlegungen sein. Außerrechtliche Erkenntnisse können über Generalklauseln, aber eben auch unbestimmte Rechtsbegriffe in Rechtsregeln übersetzt werden. Des Weiteren könnte ein rechtsvergleichender Blick helfen (Rn. 28). So ist die europäische Pastiche-Schranke vom französischen Recht inspiriert. Daran ist freilich problematisch, dass ein autonomer Begriff des Unionsrechts (was der Begriff „Pastiche“ zweifelsohne ist, vgl. in Hinblick auf den Begriff der Parodie EuGH, Urt. v. 03.09.2014 - C-201/13 Rn. 14 f. - GRUR 2014, 972 „Vrijheidsfonds/Vandersteen u.a.“) nicht durch überkommenes nationales Recht konturiert werden kann. Mit diesem Argument verspricht auch ein Blick in die Begründung zu § 51a UrhG nicht allzu viel. Der deutsche Gesetzgeber hat u.a. an Praktiken wie Remix, Meme, GIF, Mashup, Fan Art, Fan Fiction oder auch Sampling gedacht ( BT-Drs. 19/27426, S. 91). Denkbar ist ferner eine systematische Auslegung. In Art. 5 Abs. 3 Buchst. k InfoSoc-RL werden neben Pastiche auch Karikaturen und Parodien genannt. Der BGH überlegt, ob der rote Faden der drei Begriffe sein könnte, dass in allen Fällen „an ein bestehendes Werk erinnert“ werde, wobei „gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede“ zu beobachten seien (Rn. 31). Nicht zuletzt kann eine unionsgrundrechtskonforme Auslegung Anhaltspunkte liefern. In diesem Sinne will der BGH die Pastiche-Schranke als „Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling“ verstehen (Rn. 34). Die „Pastiche-Schranke könnte als allgemeine Schranke für die Kunstfreiheit zu verstehen sein“ (Rn. 37). Des Weiteren will der BGH wissen, ob die Schrankenregelung an die „Absicht“ des Nutzers anknüpft oder es ausreicht, dass der Charakter als Pastiche für denjenigen erkennbar ist, dem der in Bezug genommene Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiche erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt (Rn. 42).
- C.
Kontext der Entscheidung Der Schrankenkatalog des europäischen Urheberrechts ist abschließend in Art. 5 InfoSoc-RL (mittlerweile ergänzt durch die Art. 3 ff. DSM-RL) niedergelegt. Anders als im US-amerikanischen Recht gibt es keine Schrankengeneralklausel (zu „Fair Use“ Förster, Fair Use, 2008; mit Überlegungen zu Pastiche auch Liebenau, ZUM 2023, 678). Während die Verwertungsrechte „offen“ ausgestaltet sind (vgl. § 15 Abs. 2 UrhG „insbesondere“; auch Art. 3 InfoSoc-RL wird vom EuGH als generalklauselartiges Recht verstanden, vgl. von Ungern-Sternberg, GRUR 2018, 225, 228 f.), kann der Schrankenkatalog auch nicht durch einen unmittelbaren Rückgriff auf die Grundrechte fortentwickelt werden (EuGH, Urt. v. 29.07.2019 - C-516/17 Rn. 40 ff. - GRUR 2019, 940 „Spiegel Online GmbH/Volker Beck“). Im bisherigen deutschen Recht war mit § 24 UrhG zumindest ein gewisses Korrektiv außerhalb des eigentlichen Schrankenkatalogs gegeben. Auch hat der BGH in der Vergangenheit Schranken nicht nur analog angewendet (vgl. der Sache nach BGH, Urt. v. 11.07.2002 - I ZR 255/00 - GRUR 2002, 963 „Elektronischer Pressespiegel“), sondern z.B. über die dogmatische Konstruktion der Einwilligung zugunsten von Suchmaschinen de facto eine „Ersatzschranke“ geschaffen (BGH, Urt. v. 29.04.2010 - I ZR 69/08 - GRUR 2010, 628 „Vorschaubilder“). Der EuGH hat die Option über die „freie Benutzung“ indes verworfen (EuGH, Urt. v. 29.07.2019 - C-476/17 Rn. 56 ff. - GRUR 2019, 929 „Pelham GmbH u.a./Ralf Hütter u.a.“). Zugleich hat er mit dem Verweis auf eine grundrechtskonforme Auslegung aber ein Instrument abgesegnet, um den starren Schrankenkatalog flexibel zu halten (EuGH, Urt. v. 29.07.2019 - C-516/17 Rn. 50 ff. - GRUR 2019, 940 „Spiegel Online GmbH/Volker Beck“). Diesen Ansatz kann der EUGH nun für Art. 5 Abs. 3 Buchst. k InfoSoc-RL weiterentwickeln. Ein weiter Pastiche-Begriff auf erster Stufe könnte auf zweiter Stufe im Sinne einer Schranken-Schranke durch eine Interessenabwägung im Lichte der betroffenen Grundrechte fallspezifisch austariert werden (vgl. Liebenau, ZUM 2023, 678, 687). Nur so lässt sich sicherstellen, dass künstlerische Werknutzungen in „wiedererkennbarer Form“ jenseits der engen Voraussetzungen u.a. des Zitatrechts rechtlich möglich bleiben (vgl. Rn. 37). Anforderungen wie „Absicht“ sind dabei fehl am Platz (vgl. auch Ohly, GRUR 2023, 1536, 1537, mit Verweis auf die bisherige EuGH-Rechtsprechung). Wenn die Schranke als „Auffangtatbestand“ für transformative Nutzungen verstanden wird, heißt das allerdings nicht, dass alle im Netz beobachteten Nutzungen erlaubt sein werden. Auch künftig gilt es eine klare Trennlinie zu formulieren zwischen plumpen Übernahmen und kreativen Weiterentwicklungen. Während das Urheberrecht Kunst fördern, nicht begrenzen will, kann allein der pauschale Verweis auf „künstlerisches Handeln“ auch die Pastiche-Schranke nicht auslösen. Obwohl der europäische Gesetzgeber gut beraten wäre, eine Schranke mit spezifischen Tatbestandsmerkmalen für transformative Nutzungen einzuführen (so auch nochmals Ohly, GRUR 2023, 1536, 1537; vgl. ders. bereits Gutachten F zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, F 87 ff.), können die Überlegungen des BGH das Problem pragmatisch lösen. Möge der EuGH dem folgen!
- D.
Auswirkungen für die Praxis Der spannende Teil des Beschlusses bezieht sich auf die Pastiche-Schranke, die in Deutschland seit dem 07.06.2021 gilt. Die streitgegenständlichen „zwei Sekunden“ wurden aber bereits seit längerem genutzt. Für Nutzungen der „gesampelten“ Rhythmussequenz vor dem 07.06.2021 (und nach Ablauf der Umsetzungsfrist der InfoSoc-RL am 22.12.2002) hat das Berufungsgericht im Lichte der EuGH-Rechtsprechung eine Verletzung angenommen. Zum einen handle es sich bei der Rhythmussequenz um ein urheberrechtlich geschütztes Werk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UrhG (dazu unkritisch auch der BGH, Rn. 18), das wegen der „Wiedererkennbarkeit“ vervielfältigt und verbreitet worden sei. Zum anderen liege auch ein Eingriff in das Recht des Tonträgerherstellers vor. Obwohl es an einer Verbreitung des ursprünglichen Tonträgers fehle, liege – wegen der Wiedererkennbarkeit der entnommenen Sequenz – eine Vervielfältigung vor. Wegen der Unionsrechtswidrigkeit des § 24 UrhG a.F. einerseits und keiner Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k InfoSoc-RL vor dem 07.06.2021 greift für den genannten Zeitraum auch keine Schranke ein, so dass ein Schadensersatzanspruch besteht. Hier stellt sich aber die Frage nach dem Verschulden. Während vor Ablauf der Umsetzungsfrist die erfolgten Nutzungen über § 24 UrhG a.F. freigestellt waren, durften die Beklagten richtigerweise darauf auch nach dem 22.12.2002 vertrauen (für Freistellung auch in dieser Phase mit beachtlichen Argumenten Grünberger, ZUM 2022, 579, 582 f.).
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